Die Bewahrung der Glaubwürdigkeit hat für die EZB derzeit oberste Priorität
Der Energiepreisanstieg deckte strukturelle Unterschiede zwischen den Mitgliedsländern der Währungsunion auf. Diese Unterschiede umfassen den Anteil importierter Energie an der Gesamtenergienachfrage, die Vertragseigenschaften zwischen Versorgungsunternehmen und ihren Kunden, die unterschiedliche Gewichtung von energieintensiven Gütern im Warenkorb und die fiskalpolitische Reaktion der nationalen Regierungen. Interessanterweise stieg die Inflationsrate in einigen Ländern mit einem hohen Anteil administrierter Preise im Verbraucherpreis stärker als im Durchschnitt (insbesondere wenn die administrierten Preise laut Eurostat auch die Haushaltsenergie enthalten wie z. B. in den Niederlanden und den baltischen Ländern).
Die Regierungen in den Ländern des Euro-Raumes reagierten auf die Belastung der privaten Haushalte durch höhere Energiepreise mit unterschiedlichen administrativen und steuerlichen Maßnahmen. Die Auswertung von 60 Interventionen, die in den letzten Monaten in 18 Mitgliedsländern des Euro-Raums durchgeführt wurden, zeigt ein einheitliches Muster: Länder mit niedriger Inflation setzten intensiv Maßnahmen zur Dämpfung des Verbraucherpreises ein, während sich Länder mit hoher Inflation sich auf eine Abfederung der Belastungen durch einkommensstützende Maßnahmen konzentrierten oder insgesamt zurückhaltender in ihrer Reaktion auf die Inflation verhielten.
Mögliche geldpolitische Reaktionen auf den Energiepreisschock sind eine andere Gewichtung der länderspezifischen Inflationsraten in der Berechnung des Euro-Durchschnittswertes, d. h. ein Abweichen von den herkömmlichen Ländergewichten entsprechend der wirtschaftlichen Größe. Alternativ können makroprudenzielle Maßnahmen gezielt auf Länderebene eingesetzt werden. Falls eine Lohn-Preis-Spirale in Gang kommt, müsste die EZB zur Bewahrung ihrer Glaubwürdigkeit die Leitzinssätze rasch anheben.