Stark steigende Energiepreise
Auf Basis dieser Kurzanalyse ist am 15. März 2022 ein aktualisierter WIFO Research Brief entstanden.
Die Energiepreise sind bereits 2021 im Zuge der wirtschaftlichen Erholung nach dem COVID-19-bedingten Wirtschaftseinbruch deutlich angestiegen. Angesichts der Kriegshandlungen in der Ukraine gewinnen weitere über die in den letzten Wochen hinaus beschlossenen Maßnahmen zur Entlastung der Konsumentinnen und Konsumenten sowie der Unternehmen an Dringlichkeit.
Derzeit werden in Österreich wie in vielen anderen Ländern eine Reihe von Entlastungsoptionen diskutiert. Besonders intensiv wurden in der jüngsten öffentlichen Debatte zwei Maßnahmen gefordert: die Verschiebung der für Juli 2022 geplanten Einführung einer CO2-Bepreisung und die Reduktion des Mehrwertsteuersatzes für Energie. Diese beiden Optionen stellen sich aber aus mehreren Gründen als wenig tauglich dar. Wesentlich geeigneter sind gezieltere und treffsicherere Maßnahmen zur Abfederung des Kaufkraftverlustes.
Festhalten an der geplanten Einführung einer CO2-Bepreisung
Mit Juli 2022 wird die beschlossene CO2-Bepreisung für den Nicht-Emissionshandelssektor wirksam. Sie ist Bestandteil einer umfangreichen ökosozialen Steuerreform, die als Kompensationsmaßnahme die Rückverteilung der Einnahmen an die Haushalte über einen regional differenzierten Klimabonus vorsieht. Ergänzt wird dies mit Regelungen für die Entlastung von Unternehmen bei Härtefällen und Unternehmen mit Risiko für Carbon Leakage sowie eine Entlastung der Landwirtschaft. Im Schnitt der Periode 2022/2025 werden die Kompensationsmaßnahmen das erwartete Einnahmenvolumen übersteigen.
Eine Verschiebung der Einführung der CO2-Bepreisung wäre im Vergleich zu anderen Maßnahmen zur kurzfristigen Abfederung hoher Energiepreise rasch und ohne administrativen Aufwand umsetzbar. Dennoch sollte an der planmäßigen Implementierung der CO2-Bepreisung in der beschlossenen Form festgehalten werden. Dafür sprechen die folgenden Argumente:
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Die Herausforderungen der Bekämpfung des Klimawandels bleiben trotz Energiepreisanstiegen bestehen, eine weitere Verzögerung klimapolitischer Anstrengungen ist zu vermeiden; daher ist ein CO2-Preis als wichtiges Signal und Lenkungsanreiz unabdingbar.
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Im Vergleich zu den aktuell beobachtbaren Preissteigerungen fällt die Erhöhung durch die CO2-Bepreisung wegen des anfangs moderaten CO2-Preises von 30 € gering aus; in den kommenden Jahren wird sie außerdem bei anhaltenden Preisanstiegen durch den vorgesehenen Preisstabilisierungsmechanismus abgeschwächt. Zudem wird der CO2-Preis durch die erwartete hohe Inflation real entwertet.
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Das Gesetz sieht für die Jahre nach 2022 bei hohen Preisen fossiler Brennstoffe eine "Bremse" vor. Durch den Preisstabilisierungsmechanismus werden Schwankungen des Energiepreises reduziert, und zwar in beide Richtungen. Steigt etwa der fossile Energiepreisindex über 12,5%, reduziert sich der geplante CO2-Preisanstieg im darauffolgenden Jahr um die Hälfte.
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In Hinblick auf unerwünschte Verteilungseffekte bietet der regional gestaffelte Klimabonus einen ausreichenden Ausgleich für die CO2-Bepreisung, so dass aus der Einführung des CO2-Preises im Durchschnitt keine Belastung der Bevölkerung erfolgt.
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Das Gesetz sieht eine Härtefallregelung für besonders betroffene Unternehmen im Nicht-Emissionshandelssektor vor. Diese wird aktuell zwischen den Koalitionspartnern verhandelt. Sie sollte so ausgestaltet sein, dass die Einführung der CO2-Bepreisung keine Verzerrung des internationalen Wettbewerbs zum Nachteil heimischer Produzenten verursacht. Dabei sollte die vermutlich dauerhaft stärkere Belastung durch höhere Energiepreise Berücksichtigung finden.
Die langfristigen klimapolitischen Ziele dürfen jedenfalls angesichts der kontinuierlich zunehmenden Dringlichkeit der Klimakrise nicht aufgrund kurzfristiger krisenhafter Entwicklungen zurückgestellt werden. Eine Reduktion des fossilen Energieverbrauchs erhöht langfristig die Resilienz von Wirtschaft und Gesellschaft gegenüber geopolitisch verursachten Energiepreissteigerungen. In diesem Zusammenhang sollten finanzielle Unterstützungen für Investitionen in alternative Wärme- und Mobilitätssysteme sowie Energieeffizienz Vorrang haben.
Keine Reduktion der Mehrwertsteuer auf Energie
Energie unterliegt dem regulären Mehrwertsteuersatz, der als einheitlicher Prozentsatz (in Österreich 20%) auf die Energiepreise erhoben wird. Mit jedem Anstieg der Energiepreise bewirkt die Mehrwertsteuer damit eine zusätzliche Belastung von Haushalten und Unternehmen und wirkt als Inflationstreiber. Gleichzeitig fließen der öffentlichen Hand automatisch höhere Mehrwertsteuereinnahmen zu.
Nicht nur in Österreich steht daher die Reduktion des regulären Mehrwertsteuersatzes auf Energie zur Debatte. Diese Maßnahme ist zwar rasch und ohne großen administrativen Aufwand umzusetzen. Allerdings ist ihre Tauglichkeit als Entlastungsmaßnahme begrenzt.-
Die Mehrwertsteuersenkung wirkt nur dann entlastend, wenn sie über niedrigere Preise an die Konsumentinnen und Konsumenten weitergegeben wird. Die temporäre Absenkung der Mehrwertsteuer in Deutschland in der zweiten Jahreshälfte 2020 wurde jedenfalls im Bereich Diesel und Benzin nur unvollständig an die Konsumentinnen und Konsumenten weitergegeben.
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Erfolgt tatsächlich eine vollständige oder teilweise Weitergabe, so profitieren jene Konsumentinnen und Konsumenten besonders stark, die am meisten Energie konsumieren, also jene, die eher in den oberen Einkommensschichten zu finden sind. Dagegen werden die einkommensschwächeren Haushalte absolut wenig entlastet.
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Die Entlastung durch eine Senkung der Mehrwertsteuer auf Treibstoffe kommt zu einem nicht unerheblichen Teil ausländischen Unternehmen durch Tanktourismus zugute.
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Nicht zuletzt besteht bei einer temporären Senkung der Mehrwertsteuer auf Energie die Gefahr, dass die Rückkehr zum regulären Mehrwertsteuersatz zu einem späteren Zeitpunkt einen zusätzlichen Inflationsdruck ausübt.
Die fiskalischen Kosten, die mit einer Mehrwertsteuerreduktion verbunden wären, könnten mit sozial treffsicheren Maßnahmen wesentlich zielgerichteter eingesetzt werden.
Jedenfalls sollten die von den Energiepreissteigerungen verursachten zusätzlichen Mehrwertsteuereinnahmen zeitnah in Form von Entlastungsmaßnahmen an Haushalte und Unternehmen zurückgegeben werden. Mit einem Teil der Mehreinnahmen könnten darüber hinaus öffentliche Investitionen zur Erleichterung des Umstiegs auf emissionsfreie Energiequellen finanziert werden.
Falls aus politischen Gründen eine Mehrwertsteuersenkung nicht vermeidbar sein sollte, sollte sie auf Strom erfolgen, nicht aber auf die fossilen Brennstoffe Erdgas oder Erdöl. Damit würden die Anreize steigen, den Energiemix ökologischer zu gestalten. Eine solche Maßnahme wäre als strukturpolitische Maßnahme allerdings dauerhaft sinnvoll.
Entlastungsmaßnahmen für Haushalte
Die rasch gestiegenen Energiepreise sind vor allem für Haushalte mit niedrigem Einkommen und keinen oder geringen Ersparnissen eine besondere Herausforderung. Der Fokus von Entlastungsmaßnahmen sollte daher auf den besonders vulnerablen Gruppen liegen, um soziale Härten abzufedern. Eine Orientierung bietet diesbezüglich die Betrachtung der Energieausgaben disaggregiert nach Einkommensquintilen und Energieträger. Zu verwenden sind dafür etwa die zusätzlichen Einnahmen aus der Mehrwertsteuer.
Maßnahmen zur Entlastung der Haushalte können nach der Fristigkeit ihres Fokus unterschieden werden.
Zur kurzfristigen Entlastung können Maßnahmen eingesetzt werden, die die aktuellen zusätzlichen Kosten begrenzen:-
Transferzahlungen; wobei zu diskutieren ist, ob diese nur bis zu einer bestimmten Einkommensgrenze oder an alle Haushalte zu zahlen sind.
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(Temporäre) Senkung der Tarifsätze im unteren und mittleren Bereich des Einkommensteuertarifs und Erhöhung der Negativsteuer. Alternativ könnten die Krankenversicherungsbeiträge temporär abgesenkt und aus den zusätzlichen Mehrwertsteuereinnahmen finanziert werden. Das WIFO sieht diese Entlastungsmaßnahme als besonders vielversprechend an. Denn sie hätte den besonderen Vorteil, dass sie den Druck reduzieren könnte, bei der Lohnrunde im Herbst die realen Nettolöhne durch eine Steigerung der Nominallöhne zu stabilisieren. Würde die hohe, weitgehend importierte Inflation, die im Jahr 2022 zu erwarten ist, voll in höheren Nominallöhnen abgebildet, dann droht der Einstieg in eine Lohn-Preis-Spirale in Österreich. Hier wären frühzeitig Gespräche mit den Tarifpartnern sinnvoll.
Mittelfristig wirkende Maßnahmen umfassen die Förderung von Investitionen und Änderungen des regulativen Rahmens (Marktbarrieren z. B. Eigentümer-Mieter, Miteigentum u. Ä.):
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Upscaling von thermischer Sanierung und Heizungstausch (Investitionsförderung, Heizungstauschgebot)
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Alternative Energiebereitstellungs- und -nutzungsansätze (Quartierslösungen, Geothermie)
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Förderung alternativer Mobilität – Mikro-ÖV, Infrastrukturausbau (öffentlicher Personennahverkehr – ÖPNV, Rad- und Fußverkehr)
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Ortskernbelebung u. Ä. forcieren
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Förderung der Energieeffizienz (Tausch ineffizienter Geräte usw.)
Eine Erhöhung des Kilometergeldes oder des Pendlerpauschales erscheint dagegen als wenig zielführend. Zum einen ist die Pendlerförderung in Österreich ohnehin sehr großzügig, wenn man alle Maßnahmen auf Bundesebene (Verkehrsabsetzbetrag, Pendlerpauschale, Pendlereuro, erhöhte Negativsteuer, Jobticket) sowie die Förderungen der Bundesländer berücksichtigt. Zum anderen steigt die Entlastungswirkung des Pendlerpauschales mit dem Einkommen. Die weitere Erhöhung des Pendlerpauschales erhält den Anreiz zur Zersiedelung bzw. zur Inkaufnahme langer Distanzen zwischen Wohn- und Arbeitsort aufrecht. Die Pendlerförderung sollte vielmehr vereinfacht und ökologisiert werden.
Unternehmenspolitische Aspekte
Die rasch gestiegenen Energiepreise stellen insbesondere Unternehmen mit energieintensiven Produktionsprozessen unabhängig von der Unternehmensgröße vor große Herausforderungen. Der unternehmenspolitische Fokus sollte daher auf energieintensiven Unternehmen liegen. Die im Vergleich zu den Vorjahren stark erhöhten Energiekosten drücken die Gewinnmargen und können zu Verlusten führen, sofern die Marktsituation keine ausreichende Weitergabe der zusätzlichen Kosten über die Preise zulässt.
Die derzeit diskutierte Härtefallregelung im Nationalen Emissionszertifikatehandelsgesetz 2022 (NEHG 2022) ist im vorliegenden Entwurf auf Unternehmen, die nicht dem EU-Emissionshandel unterliegen, beschränkt. Die Regelung federt die zusätzlichen Kosten der CO2-Bepreisung für energieintensive Unternehmen ab, bietet aber darüber hinaus keine Entlastung für die stark gestiegenen Energiepreise. Auch eine Reduktion der Mehrwertsteuer auf Energie würde nur auf wenige Unternehmen Wirkung zeigen, da die Mehrwertsteuer als Durchlaufposten behandelt wird und ihre Senkung daher nicht zu Ersparnissen führt.
Die hohen Energiepreise führen bei Unternehmen vor allem zu kurz- und mittelfristigen Anpassungskosten. Die Verkaufspreise können – abhängig von der Nachfrageelastizität – nicht zeitgleich mit den Kosten angepasst werden. Um die Anpassungskosten zu reduzieren, könnte man erwägen, die Elektrizitätsabgabe auf das EU-Mindestniveau abzusenken. Zwar werden energieintensiven Produktionssektoren bereits heute über die Energieabgabenvergütung jene Abgaben, die 0,5% des Nettoproduktionswertes übersteigen, rückerstattet. Trotzdem würde die Reduktion der Elektrizitätsabgabe bei Haushalten und Unternehmen, die keinen Anspruch auf Energieabgabenvergütung haben, zu einer breiten Entlastung beitragen. Von einer solchen Maßnahme würden weitere Lenkungseffekte ausgehen, die den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen attraktiver machen würden. Angesichts der zu erwartenden dauerhaft höheren Strompreise im Zuge der Dekarbonisierung des Energiesystems ist diese Maßnahme strukturpolitisch sinnvoll und sollte langfristig vorgenommen werden. Die Erdgasabgabe sollte hingegen nicht angetastet werden.
Für den Fall extremer Energiepreissteigerungen und vor allem für den Fall möglicher Knappheiten und damit verbundener Energierationierungen sollten Möglichkeiten der Kurzarbeit bereitgestellt werden, damit Unternehmen schnell und unbürokratisch Produktionsausfälle kompensieren können.
Ein Fokus der Industriepolitik sollte auf dem Schutz der Versorgungssicherheit liegen. Rationierung von Energie ist für Unternehmen mit noch höheren Kosten verbunden als hohe Energiepreise. Daher sollen politische Initiativen, die rasch neue Bezugsquellen für Gas oder alternative Energiequellen und eine umfangreichere Energiebevorratung eröffnen, prioritär behandelt werden.
Die derzeit gestiegenen Energiepreise verdeutlichen die Spannungsfelder der Dekarbonisierung, sowohl hinsichtlich der betroffenen Unternehmen als auch hinsichtlich der Möglichkeit, auf alternative Technologien zurückzugreifen. Sie verdeutlichen auch die Notwendigkeit, die Transformation zu einer klimaneutralen Wirtschaft zu beschleunigen. "Grüne Investitionen" werden im Rahmen der Investitionsprämie gefördert. Dies wird jedoch erst mittelfristig wirken. Maßnahmen, die kurzfristig die Auswirkungen der Preisanstiege mildern sollen, sollen den langfristig notwendigen Transformationsprozess nicht untergraben.
Besonders betroffen von den Energiepreiserhöhungen sind energieintensive Produktionstechnologien bzw. Geschäftsmodelle, unabhängig von der Unternehmensgröße. Energieintensive Unternehmen, die nicht im EU-Emissionshandel erfasst sind, können am besten durch die Härtefallregelung im Rahmen des NEHG 2022 unterstützt werden, wie bereits oben ausgeführt.
Einer Mehrwertsteuersenkung stehen die Autorinnen und Autoren dieser Kurzanalyse unternehmenspolitisch skeptisch gegenüber: sowohl einer undifferenzierten als auch einer spezifischen Mehrwertsteuersenkung, weil sie eine Förderung von konsumnahen Bereichen darstellt und energieintensive Vorproduktbranchen nicht mitdenkt. Sollten solche Maßnahmen für Konsumenten getroffen werden, sollen Unternehmen aber nicht ausgeschlossen werden (betrifft dann viele konsumnahe Dienstleister).