Armutsfeste soziale Infrastruktur und Sachleistungen

12.04.2024

Video: Silvia Rocha-Akis bei der Präsentation des Sozialberichtes 2024

Wie der Sozialstaat künftig weiterentwickelt werden kann, um Armut zu verhindern, dieser Frage geht die Studie "Armutsfester Sozialstaat der Zukunft" nach. Sie entstand im Rahmen des Sozialberichtes 2024 aus einem Konsortium aus Wirtschaftsuniversität Wien, Universität Wien, WIFO sowie der Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt (FORBA).

Anlässlich der Präsentation des Sozialberichtes 2024 am 9. April 2024 in Wien stellte WIFO-Ökonomin Silvia Rocha-Akis das mit Christine Mayrhuber, Julia Bock-Schappelwein, Stefan Angel, Marion Kogler und Ulrike Famira-Mühlberger verfasste Studienkapitel "Armutsfeste soziale Infrastruktur und Sachleistungen" vor.

Neben den monetären Sozialleistungen bestimmen auch Sachleistungen der öffentlichen Hand sowohl die individuellen Lebensbedingungen der Bevölkerung als auch die langfristige wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Landes. In einem ausgebauten Sozialstaat spielen Bildungs-, Gesundheits- und Pflegeleistungen sowie Wohnhilfen eine entscheidende Rolle für das Wohlergehen aller und tragen mittel- und langfristig wesentlich zur Verhinderung von Armut bei. Die langfristige Wirksamkeit des Sozialstaates in Bezug auf die Armutsbekämpfung erfordert Investitionen, die heute getätigt werden müssen, um seine Stabilität zu gewährleisten. Allen voran die Infrastruktur für Kinder, Jugendliche und Familien verändert ihre Armutsgefährdung über die Förderung ihrer Kompetenzen, ihres Wissens und Könnens. Damit verändern sich ihre Arbeitsmarkt- und Einkommenschancen. Diese Investitionen sind eine effiziente präventive Maßnahme der Armutsvermeidung.

Ein gleichberechtigter Zugang zu öffentlichen elementaren Bildungseinrichtungen und Pflichtschulen, einschließlich Nachmittagsbetreuung, ist von entscheidender Bedeutung, um frühzeitig Kompetenzunterschiede zwischen Kindern mit verschiedenen sozioökonomischen Hintergründen sowie unterschiedlichen Sprachkenntnissen auszugleichen und Bildungswege zu ermöglichen, die unabhängig von der sozialen Herkunft sind. Die Beseitigung von Zugangsbarrieren und der Ausbau entgeltloser bzw. leistbarer, hochqualitativer Kindertageseinrichtungen stellen eine zentrale Stellschraube zum armutsfesten Sozialstaat dar.

Dies steigert die späteren Arbeitsmarktchancen und mindert spätere Risiken sowie soziale und fiskalische Folgekosten im Zusammenhang mit Arbeitslosigkeit, mangelnder Beschäftigungsfähigkeit, Exklusion und Armut. Um gegenwärtige Bildungsabbrüche an den Übergängen zwischen den verschiedenen Bildungsstufen zu minimieren und den Hochschulzugang für alle sozialen Schichten zu öffnen, sind Investitionen sowohl in Maßnahmen zur Kompetenzstärkung als auch in Veränderungen im Institutionengefüge notwendig, z. B. durch den Ausbau von Ganztagsschulen.

Auch aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive sind Bildungs- und Gesundheitsinvestitionen von zentraler Bedeutung für die wirtschaftliche Entwicklung Österreichs, eines Landes, dessen Wirtschaft mangels Rohstoffen auf menschliches Arbeitsvermögen angewiesen ist. Mit einer sinkenden Zahl an Menschen im erwerbsfähigen Alter gewinnt Qualifizierung weiter an Bedeutung. Frühe Förderungen und qualitativ hochwertige, für alle zugängliche Bildungseinrichtungen gehen mit einer armutsvermeidenden Wirkung einher. Diese armutsdämpfende Wirkung tritt auch kurzfristig ein, wenn vorschulische Einrichtungen flächendeckend vorhanden und für alle zugänglich sind, was Frauen eine Berufstätigkeit ermöglicht.

Diese Wirkung würde sich auch in der Weiterentwicklung des Dienstleistungsangebotes im Bereich der (Langzeit-)Pflege entfalten, wenn informelle Pflege verstärkt in formelle Settings überführt wird. Der steigende Anteil Hochaltriger bedeutet ein Mehr an Nachfrage von Pflegediensten. Dieses Angebot bzw. die Finanzierung ist eine zentrale Aufgabe der öffentlichen Hand in einem armutsfesten Sozialstaat, um sicherzustellen, dass Pflegeleistungen unabhängig vom finanziellen Hintergrund der Pflegebedürftigen zugänglich sind. Die dafür notwendige wachsende Zahl an Arbeitskräften bei gleichzeitig attraktiveren Löhnen und Arbeitsbedingungen liefert ebenfalls einen Beitrag zur Armutsreduktion durch höhere und bessere Beschäftigung und trägt zur Lebensqualität der Pflegebedürftigen bei.

Sachleistungen im Bereich des Wohnens umfassen einerseits die Sicherung des Grundbedürfnisses und andererseits die Leistbarkeit. Ein zukunftsfester Sozialstaat stellt für beide Aspekte entsprechende Leistungen bereit. Diese reichen vom Ausbau flächendeckender präventiver Maßnahmen zur Vermeidung von Obdachlosigkeit als extremster Form von Armut in Form von Delogierungsprävention ("Wohnschirm"), niederschwelliger und flächendeckender Hilfs- und Beratungsangebote für Mieter:innen bis hin zur Förderung und Bereitstellung von bezahlbarem Wohnraum.

In Band II des Sozialberichtes 2024, den sozialpolitischen Analysen, entwerfen renommierte Wissenschafter:innen Ideen für den Sozialstaat der Zukunft. Ausgehend von der aktuellen sozialen Lage werden einige der drängendsten Fragen unserer Zeit diskutiert. Unter anderem wird erörtert, wie es gelingen kann, den Sozialstaat armutsfest zu machen. Weitere Informationen zum Sozialbericht finden Sie hier.

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Mag. Dr. Silvia Rocha-Akis

Forschungsgruppe: Arbeitsmarktökonomie, Einkommen und soziale Sicherheit
© Karo Pernegger
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