Treibhausgasemissionen werden in Österreich 2020 zumindest um 7,1% abnehmen

10.05.2020

WIFO Working Paper: Der Rückgang der wirtschaftlichen Aktivität verringert vor allem CO2-Ausstoß

Die Maßnahmen zur Begrenzung der Ausbreitung von COVID-19, die in vielen Ländern gleichzeitig das Wirtschaftsleben erheblich einschränken, könnten 2020 in Österreich zu einem BIP-Rückgang um 5,2% führen. Damit würde eine Abnahme der Treibhausgasemissionen insgesamt von 7,1% einhergehen.

Dieses Ergebnis beruht auf einem neuen von den WIFO-Ökonomen Mark Sommer, Franz Sinabell und Gerhard Streicher entwickelten Input-Output-basierten Modell, dessen primärer Zweck die Beurteilung der Klimaverträglichkeit wirtschaftspolitischer Maßnahmen ist.

Die genannte Abnahme der Klimabelastung ist die direkte Folge der Veränderung der Wertschöpfung, die in fast allen Branchen zurückgehen wird. Am stärksten davon werden Beherbergung und Gastronomie und sonstige Dienstleistungen mit –25%, die Herstellung von Waren einschließlich Bergbau mit –9% und der Verkehr mit –7% gegenüber 2019 betroffen sein, wie die mittelfristige WIFO-Prognose vom April 2020 zeigt. Da die Freisetzung einiger Treibhausgase von der Wirtschaftskrise nicht beeinflusst werden wird, ist der errechnete Rückgang von 7,1% etwas geringer als die Abnahme der CO2-Emission, die mit dem Verbrennen fossiler Energieträger und industriellen Prozesse einhergeht.

Ungewissheit besteht über den tatsächlichen Rückgang des BIP, der nach einem pessimistischen Szenario bis 7,5% betragen könnte. Das Verhalten der Haushalte hat ebenfalls einen großen Einfluss und ist nur schwer einzuschätzen. Vor allem über die Reisetätigkeit herrscht derzeit Unklarheit.

Der Ausstoß von Treibhausgasen hängt auch von Faktoren ab, die nicht unmittelbar auf die Wirtschaftsentwicklung zurückzuführen sind, etwa die Zahl der Tage an denen geheizt werden muss. Daher ist der genannte Rückgang der Emissionen nicht als Prognose der Treibhausgasinventur für das Jahr 2020 zu verstehen.

In der aktuellsten Treibhausgasinventur hat das Umweltbundesamt festgestellt, dass 2018 in Österreich 79 Mio. t an Treibhausgasen emittiert wurden. Das waren um 0,7% mehr als 1990. In Österreich entstehen nahezu 70% der Treibhausgasemissionen im Zuge der Energieerzeugung. Jüngst veröffentlichte Daten von Eurostat zeigen einen durch vermehrten Energieeinsatz bedingten Anstieg der CO2-Emissionen von 2,8% im Jahr 2019 gegenüber 2018. Es ist daher wahrscheinlich, dass die Emissionen 2019 etwas höher waren als 2018.

Da die österreichische Wirtschaft nach wie vor eng mit der Verwendung fossiler Rohstoffe verwoben ist, wird der für 2021 erwartete Aufschwung von 3,5% nach einer Reduktion im Jahr 2020 gegenüber 2019 wieder zu einer Zunahme der Treibhausgasemissionen führen. Vor zehn Jahren kam es zu einer Zunahme der Emissionen von 5,5%, nachdem 2009 in Folge der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise ein Rückgang von 7,6% gegenüber 2008 verzeichnet worden war.

Das neu entwickelte Modell des WIFO kann genutzt werden, um Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger dabei zu unterstützen, jene Maßnahmen zu identifizieren, die Österreich auf einen Pfad der Wirtschaftsentwicklung ausrichten, der eine Entkopplung von fossilen Rohstoffen und Energieträgern ermöglicht. Im Jahr 1990 wurden pro Million BIP 317 t Treibhausgase emittiert, 2018 waren es um ein Drittel weniger, nämlich 211 t. Die Transformation ist also eingeleitet. Eine Abkopplung und völlige Vermeidung von fossilen Materialien erfordern jedoch noch weitere Anstrengungen.

Methodische Hinweise kurzgefasst

Die Angaben zur erwarteten Emissionssenkung beziehen sich auf Treibhausgasemissionen, die vom UNFCCC (2020) veröffentlicht wurden (Submission 2020 v2), und zwar "Total CO2 equivalent emissions without land use, land-use change and forestry". Dabei werden Gutschriften von Landnutzung, Landnutzungsänderungen und Waldwachstum ausgeklammert. Auch die Emissionen vom internationalen Flug- und Schiffsverkehr sowie von der Verfeuerung der Biomasse gehen nicht in die Berechnungen ein.

Weitere Informationen sind verfügbar unter:

Eurostat, Im Jahr 2019 sind die CO2-Emissionen aus energetischer Nutzung in der EU gesunken, Pressemitteilung 78/2020 vom 6. Mai 2020.

IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change), 2006 IPCC Guidelines for National Greenhouse Gas Inventories. Task Force on national Greenhouse Gas Inventories, 2020, https://www.ipcc-nggip.iges.or.jp/public/2006gl/ (abgerufen am 26. April 2020).

UNFCC (United Nations Framework Convention on Climate Change), 2020, National Inventory Submissions 2020, https://unfccc.int/ghg-inventories-annex-i-parties/2020 (abgerufen am 6. Mai 2020).

Umweltbundesamt, Austria's Annual Greenhouse Gas Inventory 1990 – 2018, Eigenverlag, Wien, 2020.

Publikationen

Auswirkungen des COVID-19-bedingten Konjunktureinbruchs auf die Emissionen von Treibhausgasen in Österreich. Ergebnisse einer ersten Einschätzung (Effects of the COVID-19-related Economic Slump on Greenhouse Gas Emissions in Austria. Results of a First Assessment)
WIFO Working Papers, 2020, (600), 31 Seiten
Online seit: 10.05.2020 0:00
In der vorliegenden Analyse werden die Auswirkungen der Maßnahmen zur Begrenzung der Ausbreitung von COVID-19 auf die Treibhausgasemissionen in Österreich untersucht. Dazu wurde ein neues Modell, ALICE, entwickelt, das die kurz- bis mittelfristigen Auswirkungen von Produktions- und Konsumänderungen im Hinblick auf Wertschöpfung und Emissionen quantifiziert. Die Ergebnisse zeigen die direkten Konsequenzen wie auch die Folgewirkungen aufgrund der Verflechtungen der Wirtschaft. Die hier vorgestellte Analyse orientiert sich an der vom WIFO im April 2020 veröffentlichten Prognose, die für 2020 einen Rückgang der realen Bruttowertschöpfung um 5¼% prognostiziert. Demgemäß ist in Österreich ein Rückgang der Treibhausgasemissionen entsprechend der Abgrenzung der Treibhausgasinventur im Jahr 2020 gegenüber 2019 um 7,1% zu erwarten. Ungewissheit über den tatsächlichen Rückgang der Emissionen besteht durch die endgültigen Produktionsauswirkungen und das Verhalten der Haushalte.
WIFO-Monatsberichte, 2020, 93(4), S.239-265
Online seit: 04.05.2020 13:30
 
Die COVID-19-Pandemie und die gesundheitspolitischen Maßnahmen zu ihrer Eindämmung legen weite Teile der Weltwirtschaft vorübergehend lahm. Die schwerste Rezession seit Ende des Zweiten Weltkrieges ist für die österreichische Volkswirtschaft damit 2020 unvermeidbar. Das reale BIP wird zumindest um 5,2%, die Beschäftigung um 1,7% zurückgehen und die Arbeitslosenquote auf 8,7% steigen. Die fiskalischen Maßnahmen zur Abfederung der Rezession und die Steuerausfälle haben 2020 einen Anstieg des Budgetdefizits auf 7,4% und der Staatsverschuldung auf 80,2% des nominellen BIP zur Folge. Unter der Voraussetzung, dass die Pandemie unter Kontrolle bleibt, sollte sich die Wirtschaft ab der zweiten Jahreshälfte 2020 schrittweise erholen. 2021 ergäbe sich dann ein Wachstum von 3,5%, die Arbeitslosenquote sollte auf 7,9% zurückgehen. Mittelfristig wird sich das Wirtschaftswachstum dem Trendwachstum (+1,1% p. a.) annähern, welches durch die Verringerung von Investitionstätigkeit und Beschäftigungswachstum infolge der COVID-19-Pandemie verringert wird. Die Arbeitslosenquote wird im Durchschnitt der Periode 2022 bis 2024 7½% betragen. 2021 dürfte die öffentliche Verschuldung einen Höchstwert von 80,5% des BIP erreichen, zum Ende des Projektionszeitraumes wird sie auf 78,5% geschätzt. In einem pessimistischeren Szenario wird für die Weltwirtschaft eine schwächere Erholung in der zweiten Jahreshälfte 2020 unterstellt. Die österreichische Wirtschaft würde dann 2020 um 7,5% schrumpfen, die Arbeitslosenquote auf 9,1% und das Budgetdefizit auf 10,0% steigen.
Rückfragen an

Mag. Dr. Mark Sommer, Bakk.

Forschungsgruppe: Klima-, Umwelt- und Ressourcenökonomie

Priv.-Doz. Dipl.-Ing. Dr. Franz Sinabell

Forschungsgruppe: Klima-, Umwelt- und Ressourcenökonomie

Dipl.-Ing. Dr. Gerhard Streicher

Forschungsgruppe: Regionalökonomie und räumliche Analyse
© Alain Duchateau/Unsplash
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