Die Einschätzungen ergeben sich aus einer Modellsimulation, die jetzt in einem gemeinsamen Arbeitspapier von Forschern des
Kiel Institutes für Weltwirtschaft (IfW Kiel) und des Österreichischen Institutes für Wirtschaftsforschung (WIFO) veröffentlicht
wurde. "Ein Handelskrieg zwischen Russland sowie den USA und ihren Verbündeten würde Russlands Wirtschaft langfristig empfindlich
treffen. Die Alliierten dürften zwar kurzfristig ebenfalls zum Teil stark betroffen sein, auf längere Sicht haben sie aber
im modellhaft simulierten Fall insgesamt nur eine um jährlich 0,17% geringere Wirtschaftsleistung zu befürchten", sagt Alexander
Sandkamp, Handelsforscher am IfW Kiel und der Kieler Christian-Albrechts-Universität.
Die Berechnungen wurden mit dem KITE-Modell (Kiel Institute Trade Policy Evaluation) vorgenommen. Das Modell kann simulieren,
wie sich Handelsströme langfristig anpassen, wenn internationale Lieferbeziehungen unterbrochen sind, und wie sich das auf
die Wachstumsmöglichkeiten einer Volkswirtschaft auswirkt. Die kurzfristigen Effekte gegenseitiger Sanktionen, die in der
Regel auf beiden Seiten zu Einkommensverlusten führen, sind dabei nicht abgebildet. Das Modell simuliert eine Verdoppelung
von Handelsbarrieren abseits von Zöllen (nichttarifäre Handelshemmnisse), bildet aber nicht aktuell beschlossene Sanktionspakete
ab.
Der Grund für die ungleiche Verteilung der Kosten liegt vor allem in der geringen wirtschaftlichen Bedeutung Russlands im
Vergleich zu den USA und ihren Verbündeten. Letztere sind in Bezug auf Im- und Exporte für Russland also wichtiger als umgekehrt:
So war die EU im Jahr 2020 für 37,3% des russischen Außenhandels verantwortlich, umgekehrt finden aber lediglich 4,8% des
Außenhandels der EU mit Russland statt. Berücksichtigt man zusätzlich den intraeuropäischen Handel, wäre der Russlandanteil
nochmals deutlich geringer. Importbarrieren der Alliierten würden Russland stärker treffen als Exportbarrieren.
"Sanktionen zeigen kurzfristig meist wirtschaftliche aber keine politische Wirkung. Halten sie lange an und sind umfassend,
kann sich ihr politisches Wirkungspotential vergrößern. Die Simulationsergebnisse geben einen Eindruck, was langfristig für
beide Seiten auf dem Spiel steht: Nach einer Anpassungsphase im Welthandel wird Russland deutlich geschwächt dastehen, der
Schaden für die Alliierten ist dagegen überschaubar", sagt Gabriel Felbermayr, Direktor des WIFO.
Allerdings sind die Kosten der Simulation zufolge auch bei den Alliierten sehr ungleich verteilt. Stärker betroffen wären
langfristig osteuropäische Länder wie Litauen (im Modellfall –2,5%), Lettland (–2,0%) und Estland (–2,0%). Deutschland und
Österreich müssten mit Verlusten in Höhe von 0,4% bzw. 0,3% des jährlichen Bruttoinlandsproduktes rechnen, die USA lediglich
mit Verlusten in Höhe von 0,04%. Diese Zahlen zeigen die stärkere Verflechtung Russlands mit der EU.
Als Folge des Konfliktes könnte Russland zwar seinen Handel mit anderen Ländern wie China ausweiten und insbesondere mehr
in diese Länder exportieren. Im Jahr 2020 gingen knapp 14,6% der russischen Exporte nach China, allerdings kamen nur knapp
2,8% der chinesischen Importe aus Russland. Selbst wenn Russland nun vermehrt nach China exportiert, dürften die Auswirkungen
auf China sich in Grenzen halten. Ähnlich sieht es bei den russischen Importen aus. So kamen knapp 23,7% der russischen Importe
aus China. Gleichzeitig gingen jedoch nur knapp 2% der chinesischen Exporte nach Russland. Insgesamt würde sich das Realeinkommen
in China daher im Modell lediglich um 0,02% jährlich erhöhen. Wirtschaftlich wäre China also nicht der große Krisengewinner.