21. Dezember 1999 Strukturwandel könnte Wirtschaftswachstum in Europa stärken. Beitrag des WIFO zum Wettbewerbsbericht der EU-Kommission Karl AigingerIn den letzten zehn Jahren expandierte die Industrie in der EU mit +2,6% (1988 bis 1998) deutlich langsamer als in den USA (+4,4%). Die japanische Industrie mußte ihre Produktion zwischen 1991 und 1993 absolut zurücknehmen und nimmt im Vergleich über die volle Periode mit +0,8% den dritten Rang in der Triade ein. Die österreichische Industrie erzielte in dieser Periode mit +5,1% unter den EU-Ländern nach Finnland und Irland das dritthöchste Wachstum. Das Wachstum einer Volkswirtschaft hängt mit dem Tempo des Strukturwandels zusammen: Länder, deren Industriestruktur sich in den letzten Jahren stärker verschob, erreichen im Durchschnitt ein höheres Wachstum. Irlands Wirtschaft etwa expandierte am raschesten, und der "Mobilitätsindex" der die Strukturänderungen der letzten 10 Jahre in einer Kennzahl zusammenfaßt ist deutlich überdurchschnittlich. Am wenigsten veränderte sich die Industriestruktur in Deutschland, hier wuchs auch die Wertschöpfung am langsamsten. Daß Strukturwandel und Wachstum Hand in Hand gehen, ist eine Kernaussage des Berichtes der Europäischen Union über die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie. Das WIFO hat für diesen Bericht die Spezialisierung der europäischen Volkswirtschaften und das Tempo des Strukturwandels analysiert. Die europäische Industrie war am Beginn des Integrationsprozesses sehr viel weniger spezialisiert als die der USA. Davon wurde einerseits die Befürchtung abgeleitet, daß der Umstrukturierungsprozeß rasch und einseitig zugunsten der wirtschaftsstärkeren Länder verlaufen könnte, andererseits die Hoffnung, daß der Produktivitätsrückstand Europas sich verringern würde. Die Spezialisierung der Industrieproduktion ist in mäßigem Tempo gestiegen, die Spezialisierung der Exporte ist unverändert. Dabei variiert der Befund auch nach Ländern: Irland (z. B. Chemie- und Computerindustrie), Deutschland (Autoindustrie) und Italien haben sich sowohl in der Produktion als auch im Außenhandel verstärkt spezialisiert, Belgien (im Außenhandel) und die Niederlande sind zurückgefallen. In einigen Ländern ist die Spezialisierung der Produktion gestiegen, jene der Exporte aber gesunken. Diesen Trend bestimmt z. B. für Finnland und für Schweden die Papierindustrie: Starke Unternehmen erhöhen ihren Wertschöpfungsanteil, verteilen aber die Produktion über ganz Europa. In Großbritannien zeigt sich ein ähnlicher Trend für die Nahrungsmittelindustrie, den Printmedienbereich und die Chemieindustrie. In Österreich trugen die größten 5 Industriesektoren sowohl 1988 als auch 1998 47% der gesamten Produktion bei. Österreich gehört damit zu den unterdurchschnittlich spezialisierten Ländern. Der Maschinensektor ist weiterhin der größte Sektor, der Anteil der Nahrungs- und Genußmittelproduktion nimmt ab, jener der elektronischen Printmedien steigt. In Österreich ist die Spezialisierung geringer als in anderen Ländern, und auch der Strukturwandel vollzieht sich langsamer. Allerdings sind in den einzelnen Branchen erhebliche Produktivitätszuwächse zu verzeichnen, sodaß Österreich in der Wachstumshierarchie an dritter Stelle, gemessen an der Produktivitätssteigerung sogar an zweiter Stelle rangiert. Das Produktivitätsniveau liegt mit 60.730 ECU 1998 an dritter Stelle nach Belgien und Irland und ist um gut 10% höher als in Deutschland und um 20% höher als im Industriedurchschnitt. Der Anteil der arbeitsintensiven Produkte ist in der europäischen Industrie leicht gesunken, aber immer noch höher als in den USA und in Japan. Italien hat hier Marktanteile gewonnen; da sich dies vor allem auf das gehobene Marktsegment bezieht, in dem Italiens Maschinenindustrie Spezialisierungsgewinne erzielte, ist keine Ausbildung einer einseitigen Niedriglohnindustrie zu befürchten. Die kleinen Länder gewinnen im Durchschnitt Marktanteile, besonders Irland, Portugal und Österreich. Damit ist die Konzentrationsrate in den meisten Branchen (gemessen am Anteil der größten Produzenten) heute niedriger als vor 10 Jahren. Angesicht der Marktöffnung und Globalisierung beginnen kleine Länder nunmehr, ihre Spezialisierungsvorteile zu nützen, was auf den teils abgeschotteten nationalen Märkten nicht möglich war. Beispiel dafür sind die Telekombranchen in Schweden und Finnland: Die technologieintensiven Branchen sind in den größeren Ländern und im geographischen Zentrum der Europäischen Union überdurchschnittlich vertreten; diese Konzentration verstärkt sich jedoch nicht, sondern wird sogar etwas schwächer (starke Elektronikkonzerne in Finnland und Schweden, Attraktivität Irlands für Tochterbetriebe multinationaler Konzerne). Die Spitzenproduktivität der irischen Industrie zeigt aber, daß Ansiedlungen in anspruchsvollen Produktsegmenten und unter Nutzung der gut ausgebildeten Beschäftigten erfolgen. Der zentrale wirtschaftspolitische Befund des Berichts lautet, daß der Strukturwandel das Wachstum der Industrie stärkt. Umstrukturierungen gingen in der EU nicht einseitig zu Lasten bestimmter Länder und sind verglichen mit der Industriestruktur der USA mäßig. Die erfolgreichen Länder setzen trotz Annäherung der Wirtschaftspolitik innerhalb der EU Akzente in der Forschungspolitik und in der Ausbildung der Arbeitskräfte, während die europäischen Programme die Verbreitung von Technologien und den Ausgleich der Produktivitätsniveaus unterstützen. Mit der Fortsetzung des Integrationsprozesses sollte es möglich sein, den Produktivitätsrückstand der europäischen Industrie gegenüber den USA zu verringern. Übersicht 1: Wachstum in der Industrie 1988/1998
Q: OECD, WIFO-Berechnungen. 1) Letztes verfügbares Jahr 1997.
Übersicht 2: Strukturwandel in der Industrie 1988/1998
Q: SBS, WIFO-Berechnungen. 1) Nominell. 2) Summe der Anteilsverschiebungen. 3) Letztes verfügbares Jahr 1997.
Grundlage der Pressenotiz ist der Report "The Competitiveness of European Industry", Europäische Kommission COM (1999) 465. Die Pressenotiz gibt nicht die offizielle Meinung der Kommission wieder, sondern liegt in der Verantwortung des WIFO. Dieses hat zur Erstellung des Berichtes den Background Report "Specialisation and (Geographic) Concentration of European Manufacturing" (Karl Aiginger, Michael Böheim, Klaus Gugler, Michael Pfaffermayr, Yvonne Wolfmayr-Schnitzer) verfaßt, der als Working Paper 1 der DG Enterprise erschienen ist.
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