21. September 1999 Führt die Lohnpolitik in der WWU zur Deflation? Ewald WalterskirchenIn einem einheitlichen Währungsgebiet muß die Flexibilität der Löhne die Wechselkurse als Instrument zur Bewältigung von Problemen und Schocks ersetzen. Österreich ist durch seine sozialpartnerschaftliche Lohnpolitik gut für die Währungsunion gerüstet und hat bereits in der Vergangenheit hohe Reallohnflexibilität bewiesen. Andere Länder müssen erst entsprechende institutionelle Regelungen aufbauen, die auf dem Arbeitsmarkt einen Ersatz für Abwertungen schaffen. Soweit die Lohnflexibilität dem Ausgleich nationaler und branchenspezifischer Schwierigkeiten dient, hat sie eine wichtige und positive Anpassungsfunktion. Eine gewisse Gefahr könnte jedoch darin liegen, daß einzelne Länder analog zu einer aggressiven Abwertung durch besonders zurückhaltende Lohnpolitik Wettbewerbsvorteile gewinnen wollen. Die Länder der Euro-Zone können dauerhafte und ständig zunehmende preisbestimmte Wettbewerbsvorteile erzielen, indem sie ihre Lohnsteigerungen unter jenen der Konkurrenzländer halten. Einer solchen zurückhaltenden Lohnpolitik ("beggar-my-neighbour policy") können die anderen WWU-Länder nicht mehr durch Abwertungen entgegenwirken. Die Erfahrungen im DM-Hartwährungsblock deuten darauf, daß sehr zurückhaltende Lohnstrategien einzelner Länder in der WWU nicht unwahrscheinlich sein werden. Im DM-Hartwährungsblock verfolgten die Niederlande im letzten Jahrzehnt eine besonders zurückhaltende Lohnpolitik, um ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern und eine ausgeprägte wirtschaftliche Schwächeperiode zu überwinden. Die Lohnkosten je Stunde erreichten in der niederländischen Industrie Mitte der achtziger Jahre noch 95% des westdeutschen Niveaus, bis 1998 sank diese Relation kontinuierlich auf 80%. Von dieser Lohnzurückhaltung profitierte die niederländische Wirtschaft: Das Wirtschaftswachstum übertraf den EU-Durchschnitt in den neunziger Jahren um fast 1 Prozentpunkt pro Jahr, der Überschuß in der Leistungsbilanz stieg auf 51/2% des BIP, gleichzeitig ging die Lohnquote stark zurück. Eine sehr zurückhaltende Lohnpolitik kann als eine "interne Abwertung" bezeichnet werden, die vor allem den Vorteil hat, daß sie die Inflationsrate drückt im Gegensatz zu einer Währungsabwertung, die diese erhöht. Das Risiko einer Deflation durch zurückhaltende Lohnpolitik ist freilich relativ gering. Denn eine stetige Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit wird längerfristig einen Konjunkturaufschwung auslösen, der entweder die Lohnforderungen oder die Lohndrift wieder anheizt. "Lohndumping" kann dadurch beseitigt werden, daß sich die Lohnpolitik in der EU an der gesamtwirtschaftlichen Produktivitätssteigerung orientiert, die langfristig 2% pro Jahr beträgt. In der klassischen Deflationssituation geht die gesamtwirtschaftliche Aktivität zurück und drückt das Preisniveau. Weil für die Zukunft niedrigere Preise erwartet werden, schieben die Konsumenten und Investoren ihre Kaufentscheidungen hinaus. Dieses Aufschieben drückt die Nachfrage weiter und setzt die abwärtsgerichtete Spirale fort. Eine solche Situation des Nachfrage- und Preisrückgangs war im vergangenen Jahr in Südostasien und Japan gegeben, seither hat sich die Situation jedoch wieder stabilisiert. Schlußfolgerungen für die Lohnpolitik Die Wirtschafts- und Währungsunion wird die nominellen Lohnsteigerungen in der EU (und damit auch in Österreich) tendenziell dämpfen zumindest solange die Lohnpolitik nicht EU-weit koordiniert wird: Einzelne Länder werden versuchen, durch möglichst stabile Löhne Konkurrenzvorteile zu erzielen, auf welche die anderen Länder reagieren müssen. "Lohndumping" wird damit zu einem ähnlichen Problem wie "Steuerdumping". Wie das Problem des Steuerwettlaufs nach unten nur durch eine gewisse Steuerharmonisierung auf EU-Ebene gelöst werden kann, so wird das Problem des Lohnwettlaufs nach unten nur durch eine gewisse internationale Koordination der Lohnpolitik (Produktivitätsorientierung) zu lösen sein. Eine echte Deflationsgefahr ergibt sich aus einer zurückhaltenden Lohnpolitik in der EU jedoch nicht. Eher wird dadurch neben der Inflationsrate auch die Lohnquote und die Kaufkraft der Arbeitnehmer gedrückt. Nähere Informationen entnehmen Sie bitte dem WIFO-Monatsbericht 9/1999! |