26. Mai 1999 Osteuropa 1998/2000: Konjunktur- und Strukturschwächen Josef PöschlIn den weiter fortgeschrittenen Transformationsländern (MOEL 5: Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn) ist die Wirtschaftsentwicklung inzwischen primär durch Konjunktureinflüsse geprägt, in den anderen Ländern Osteuropas weiterhin durch Strukturprobleme oder regionale Desintegration. Die Konjunktur verschlechterte sich 1998 in den MOEL 5 und dürfte im Jahr 1999 die Talsohle erreichen. Die durchschnittliche Wachstumsrate der Region, in der Polen aufgrund seiner Größe das Hauptgewicht hat, sank von 4,9% (1997) auf 3,0% (1998) und dürfte sich in diesem Jahr auf 1,9% verringern. Erst im Jahr 2000 könnte die Wirtschaftsleistung wieder etwas stärker zunehmen (rund +3%). Diese Zahlen verdecken, daß 1998 der Konjunkturverlauf in den einzelnen Ländern sehr unterschiedlich war. Tschechiens reales BIP schrumpfte von Quartal zu Quartal immer stärker (IV. Quartal 1998 4,1%), während Polens Wachstumsrate zwar positiv blieb, sich aber im Laufe des Jahres halbierte. Die Slowakei erlebte einen Absturz von etwa +6% im 1. Halbjahr auf +0,5% im IV. Quartal. In Slowenien war die Konjunktverschlechterung mäßig, und in Ungarn trat sogar ein Konjunkturaufschwung ein, der sich im Laufe des Jahres verstärkte. Negative Impulse von außen, wie die Konjunkturabschwächung in der EU und insbesondere in Deutschland sowie die Rußlandkrise, wirkten in den MOEL 5 sehr unterschiedlich je nach deren "Fitneß". Polen litt über seine Exporte am meisten unter der Rußlandkrise. Nominalzinssätze, die wesentlich höher sind als die Abwertungserwartung, stärken zudem die Währung und stellen die internationale Wettbewerbsfähigkeit polnischer Unternehmen auf eine harte Probe, mit dem Resultat eines hohen und weiter steigenden Defizits in der Leistungsbilanz. Die Restrukturierung der Wirtschaft ist, abgesehen von Teilbereichen, weit gediehen, und das Wachstum dürfte relativ hoch bleiben (+3% bis +4%). Krasser als in Polen stellt sich angesichts des extrem hohen Leistungsbilanzdefizits (1998 über 10% des BIP) in der Slowakei die Frage nach der internationalen Konkurrenzfähigkeit der Betriebe. Der plötzliche Wachstumsverfall ist darin begründet, daß sich die neue Regierung gezwungen sieht, kreditfinanzierte Investitionsprojekte zu kürzen und die längst fällige Erhöhung regulierter Preise zuzulassen. Das BIP dürfte daher heuer stagnieren und nächstes Jahr sogar schrumpfen. Tschechiens Wirtschaft geriet in eine Krise, weil sich die Wirtschaftspolitik jahrelang auf makroökonomische Zielvorgaben wie Preis- und Wechselkursstabilität konzentrierte und die Wirtschaft dabei überforderte, speziell angesichts der unzureichenden Restrukturierung und der Reformversäumnisse auf institutioneller Ebene. Im Sommer 1998 setzte die Nationalbank der Praxis großer halbstaatlicher Banken, die Verluste von Großbetrieben durch neue Kredite abzudecken, ein Ende und löste dadurch einen Schock aus, der die Rezession dramatisch verschärfte. Die Wirtschaft wird frühestens im Jahr 2000 wieder wachsen. Slowenien, das Land mit dem höchsten Pro-Kopf-Einkommen unter den Transformationsländern, verzeichnete 1998 nur einen mäßigen Konjunktureinbruch. Da die Unternehmen bereits lange auf internationalen Märkten aktiv und die grenzüberschreitenden Kapitalströme nicht liberalisiert sind, vermag die Wirtschaftspolitik den Wechselkurs so zu beeinflussen, daß die Leistungsbilanz stets ausgeglichen bleibt. Die Wachstumsrate wird heuer und nächstes Jahr bei etwa 3% liegen. Ungarns Defizit in der Leistungsbilanz verschärfte sich 1998 durch die Repatriierung von Gewinnen aus Direktinvestitionen früherer Jahre. Diese waren aber auch der Motor gesteigerter wirtschaftlicher Aktivität, speziell im Bereich der Exporte vor allem von höherwertigen Gütern (z. B. Maschinen). Nach Jahren der Restriktion hat die Inlandsnachfrage wieder steigende Tendenz. Rußland und die Ukraine aber auch Bulgarien und Rumänien leiden unter Strukturproblemen, die auch in den MOEL 5 nicht vollständig überwunden sind. Gelähmt wird die makroökonomische Entwicklung durch die desolaten internen finanziellen Beziehungen zwischen Unternehmen, zwischen Unternehmen und Geldinstituten, zwischen Unternehmen und dem Staat: Die Wirtschaftssubjekte oder auch staatliche Institutionen kommen ihren Zahlungsverpflichtungen nur mangelhaft nach und sind andererseits auch nicht in der Lage, ihre Forderungen erfolgreich geltend zu machen. Je verbreiteter das Phänomen ist, desto mehr sind Funktionen einer regulären Marktwirtschaft behindert, und das wirtschaftspolitische Instrumentarium ist nur beschränkt einsetzbar und wirksam. Eine gemilderte Form finanzieller Zerrüttung wurde bereits erwähnt: die laufende Abdeckung von Verlusten durch Banken, die eine Akkumulation von Schulden und faulen Krediten zur Folge hat und die Krisenanfälligkeit steigert. In Bulgarien, Rumänien, Rußland und der Ukraine wird das BIP aufgrund dieses und anderer Strukturprobleme heuer schrumpfen und im kommenden Jahr in den meisten Fällen bestenfalls stagnieren. Die Wirtschaft der Balkanländer litt im vergangenen Jahrzehnt unter der Desintegration der Region und war bereits vor dem Kosovo-Konflikt in einer schlechten Verfassung, aus der sie sich in der nächsten Zeit nicht wird befreien können. Nähere Informationen entnehmen Sie bitte dem WIFO-Monatsbericht 5/1999! |