20. November 1998 Die Landwirtschaft als kritischer Bereich der EU-Osterweiterung Matthias SchneiderDie Landwirtschaft zählt zu den sensiblen Punkten der angestrebten Osterweiterung der EU. Große Unterschiede zwischen Agrarpotential, Agrarstruktur, Leistungsniveau der Ernährungswirtschaft und Agrarpolitik Westeuropas und der ostmitteleuropäischen Beitrittswerber belasten die Integration und wecken Ängste und Befürchtungen in West und Ost. Die Wirtschaft der meisten MOEL ist noch stärker agrarisch geprägt als in Westeuropa. Arbeitskräfte und fruchtbare Böden sind in den MOEL reichlich verfügbar und billig. Dies ergibt ein hohes agrarisches Potential, das derzeit nicht voll ausgeschöpft werden kann. Die MOEL schützen und stützen ihre Landwirtschaft viel weniger als die EU: Ihr agrarischer Protektionsgrad ist nur etwa halb so hoch wie jener der EU. Auch die Agrarpreise und die Produktionskosten sind in den MOEL (mit Ausnahme Sloweniens) niedriger. Direktzahlungen an die Landwirte sind in Ost-Mitteleuropa im Gegensatz zur EU nur in Ansätzen vorhanden. Folgen der Osterweiterung Ein Beitritt aller 10 assoziierten MOEL zur EU würde die Einwohnerzahl der erweiterten Union und damit die Zahl der Verbraucher um rund 28% erhöhen. Das landwirtschaftliche Produktionspotential würde hingegen um mindestens 40% gesteigert. Zugleich würde das BIP der Gemeinschaft und damit die Finanzierungsbasis auch für die Gemeinsame Agrarpolitik um bloß 4% zunehmen. Dieses hohe Agrarpotential und die mäßige Wirtschaftskraft der ostmitteleuropäischen Beitrittswerber sind der harte Hintergrund für die Befürchtungen der westeuropäischen Landwirtschaft, durch die Osterweiterung der Union unter zusätzlichen Druck zu geraten. Die Übertragung der GAP in der zur Zeit geltenden Fassung auf die MOEL würde dort die Erzeugung über höhere Preise und Förderungen stimulieren und den Verbrauch dämpfen. Die Europäische Kommission dürfte den zu erwartenden Produktionsanstieg in den MOEL eher unterschätzen. Die Verwertung der wachsenden Überschüsse stößt angesichts der bestehenden internationalen Verpflichtungen auf Probleme. Die von der Europäischen Kommission im Rahmen der "Agenda 2000" vorgeschlagenen Reformen der GAP und der Strukturfonds sind im Kontext mit der Osterweiterung zu sehen. Folgen für die österreichische Landwirtschaft Die Nachbarschaft zu den MOEL legt es nahe, daß die österreichische Landwirtschaft von der Osterweiterung der Union besonders berührt sein wird. Bestehende Strukturnachteile und Wettbewerbsschwächen sowie die historische Erfahrung lassen einen erhöhten Marktdruck, verbunden mit Marktanteilsverlusten für die heimischen Produzenten, erwarten. Die Folgen der Osterweiterung werden für einzelne Produktionszweige unterschiedlich sein. Im Pflanzenbau haben die MOEL meist überdurchschnittliche Kostenvorteile und sind damit auch wettbewerbsfähiger als in der Tierhaltung. Regionale Unterschiede der Produktionsstruktur der heimischen Landwirtschaft sowie die erkennbaren Stärken und Schwächen der MOEL lassen vermuten, daß die Landwirtschaft in den östlichen Bundesländern stärker betroffen sein wird als im Westen des Landes. Diese Tendenz wird durch die unmittelbare Nachbarschaft verstärkt. Teils wird es auch Gewinner der Osterweiterung geben: Hochwertige landwirtschaftliche Produkte, eventuell auch Biowaren, könnten in zahlungskräftigen Verbrauchern aus den MOEL neue Abnehmer finden. Die Nahrungsmittelindustrie wird wie schon von der Ostöffnung von der Osterweiterung profitieren. Treffen die im Zusammenhang mit der Osterweiterung einschließlich GAP-Reform erwarteten Marktanteilsverluste sowie Preis- und Ertragseinbußen zu, dann wird dies den agrarischen Strukturwandel beschleunigen. Die Abwanderung aus der Landwirtschaft steigt, und es dürften auch mehr Betriebe aufgelöst werden. Periphere, agrarisch geprägte Gebiete wären besonders betroffen. Damit ist neben den Bauern auch die Agrarpolitik verstärkt gefordert. Die Sicherung einer flächendeckenden Bewirtschaftung sowie der ökologischen Leistungen der Landwirtschaft wird im Zuge der Osterweiterung vermehrte Anstrengungen nötig machen. Für die Landwirtschaft sind eine gezielte Vorbereitung und ausreichende Übergangsfristen anzustreben. Zum Schutz der Bevölkerung und zur Wahrung fairer Wettbewerbsbedingungen ist ein freier Verkehr mit Agrarwaren erst dann anzuraten, wenn die hohen Gesundheits- und Umweltstandards der Gemeinschaft in den MOEL wirksam umgesetzt werden können. Nähere Informationen entnehmen Sie bitte dem WIFO-Monatsbericht 11/1998! |