16. September 1998 Die Konjunktur vor der Rußlandkrise Marcus Scheiblecker, Ewald WalterskirchenDie Finanzmärkte standen im Spätsommer unter dem Eindruck der Rußlandkrise und der Turbulenzen an den internationalen Börsen. Auch die Asienkrise wirkte noch nach. Das Geschäftsklima der österreichischen Industrie wurde dadurch relativ wenig beeinträchtigt. Die heimischen Unternehmer schätzten im Sommer die meisten Konjunkturindikatoren etwas ungünstiger ein als im Frühjahr, aber ähnlich wie zu Jahresbeginn. Die Aufwärtsentwicklung der österreichischen Konjunktur war im 1. Halbjahr 1998 von der Asienkrise nur wenig getrübt. Die Warenexporte konnten gegenüber dem Vorjahr um etwa ein Zehntel gesteigert werden. Auch die Rußlandkrise hat nur relativ geringe direkte Auswirkungen auf den österreichischen Export: Österreich lieferte 1997 1,4% seiner Ausfuhr nach Rußland, im ersten Vierteljahr 1998 war dieser Anteil geringfügig niedriger (1,2%). Damit sind allerdings die möglichen Folgen auf die österreichische Wirtschaft nur zum Teil erfaßt. Zum einen müssen die indirekten Effekte des Nachfrageausfalls auch auf Drittmärkten berücksichtigt werden, zum anderen ist die Gefahr der "Ansteckung" anderer Länder vor allem über Zusammenhänge auf den Finanzmärkten noch nicht gebannt. Die Konsequenzen der Turbulenzen auf den Finanzmärkten für die reale Wirtschaft sind wegen psychologischer und politischer Faktoren schwierig zu beurteilen, dürften jedoch in Europa eher gering sein. Soweit die Geschehnisse zur Zeit abzusehen sind, besteht Aussicht, daß auch die Rußlandkrise für die Konjunktur in Westeuropa und Österreich auch im schlechtesten Fall nur mäßige Folgen haben wird. Die Finanzkrise Südostasiens traf dagegen Japan schwer, die Rezessionstendenzen haben sich in den letzten Monaten weiter verstärkt: Die japanische Industrie produzierte im II. Quartal um 8% weniger als ein Jahr zuvor. In den USA schwächte sich die Konjunktur leicht ab dazu trug sicher die Asienkrise bei: Die Zuwächse der Industrieproduktion verringern sich seit der Jahreswende kontinuierlich (von +5¾% auf +3¾% im Juni). Die erwartete Verlangsamung des Wirtschaftswachstums zeichnet sich aber bisher nur im Bereich der Industrie ab. In Europa erwies sich die Konjunktur gegenüber der Krise auf den Finanzmärkten bisher als ziemlich robust. Eine leichte Abflachung ist allerdings bereits vor dem Sommer festzustellen. Die Industrieunternehmen produzierten in der EU im II. Quartal um gut 4% mehr als im Vorjahr, die Wachstumsraten kamen damit an die zwei Quartale zuvor (+5%) aber nicht ganz heran. Vor allem in Großbritannien wurde die Konjunktur gedämpft insbesondere aufgrund der Aufwertung. Der europäische Bankensektor ist sowohl von der Asien- als auch von der Rußlandkrise stärker betroffen als die Exportwirtschaft: Er ist zu Wertberichtigungen ausstehender Forderungen gezwungen. Ein Teil der aushaftenden Kredite war durch staatliche Haftungen besichert. In welchem Umfang und wann diese in Anspruch genommen werden könnten, ist derzeit noch nicht absehbar. Die meisten Indikatoren sprechen dafür, daß sich die Inlandsnachfrage in Kontinentaleuropa im bisherigen Jahresverlauf deutlich belebt hat. In Österreich schätzten die Unternehmen die Wirtschaftslage im Sommer etwas ungünstiger ein als im Frühjahr. Die Beurteilung der Auftragsbestände und die Produktionserwartungen lagen damit aber auf ähnlichem Niveau wie in den Wintermonaten. Wachsende Fertigwarenlager der Industrie deuten darauf hin, daß die Nachfragesteigerung nicht ganz mit der kräftigen Produktionsausweitung mithielt. Die zunehmende Erwartung sinkender Verkaufspreise spiegelt den Rückgang der internationalen Rohwarenpreise wider. Diese lagen im Sommer um ein Fünftel unter dem Vorjahresniveau. Am stärksten gaben die Rohölnotierungen nach (rund 30%), aber auch die Preise von agrarischen Erzeugnissen und Industrierohstoffen (15%) sanken deutlich. Investitionen und Konsum hatten in der ersten Jahreshälfte steigende Tendenz. Die realen Einzelhandelsumsätze wurden in den ersten fünf Monaten 1998 gegenüber dem Vorjahr um 2½% gesteigert. Die günstige Wirtschaftslage hatte in den ersten Monaten 1998 einen kräftigen Zuwachs der Beschäftigung zur Folge. Im August waren um 31.800 Arbeitsplätze mehr besetzt als im Vorjahr (+1%). Die schwache Entwicklung der Lohn- und Gehaltssumme sowie der Sozialversicherungsbeiträge deutet darauf hin, daß sich die Ausweitung der Beschäftigung auf Teilzeitkräfte konzentriert. Die Arbeitslosigkeit blieb jedoch auf relativ hohem Niveau: Die Arbeitslosenquote betrug 4,5% der Erwerbspersonen laut EU-Definition bzw. 5,9% laut traditioneller Berechnungsmethode. Nähere Informationen entnehmen Sie bitte dem WIFO-Monatsbericht 9/1998! |