19. August 1997 Wettbewerbsschwächen verstärken den Abbau von Industriearbeitsplätzen in Wien Gerhard Palme, Peter MayerhoferWien verliert als Produktionsstandort an Bedeutung: Zwischen 1971 und 1994 nahm die Zahl der Arbeitsplätze im sekundären Sektor (einschließlich Gewerbe, Energie- und Bauwirtschaft) um rund 114.000 oder 37% ab. In der Industrie i. e. S hat sich der Beschäftigtenstand in diesem Zeitraum mehr als halbiert, nach letztverfügbaren Daten stellt die Industrie mit rund 80.600 Beschäftigten nur noch etwa 10% aller Arbeitsplätze. Auch die jüngste Entwicklung läßt keine Trendumkehr erkennen: 1996 büßte Wien mit 4,4% in der Sachgüterproduktion deutlich mehr Arbeitsplätze ein als das übrige Österreich (2,7%), und auch heuer kommt die Besserung der Industriekonjunktur der Wiener Wirtschaft nicht zugute. Teilweise geht diese Entwicklung auf in ganz Europa sichtbare Tendenzen zunehmender regionaler Spezialisierung zurück. Steigende Kapitalmobilität und die durch Telekommunikation vermehrten Möglichkeiten zur räumlichen Trennung von Unternehmensfunktionen lassen eine internationale Optimierung der Standortnetze der Unternehmen zu. Die ökonomische Basis von großen Städten verschiebt sich dabei, ihren Standortvorteilen entsprechend, von der Produktion und dem Handling von materiellen Outputs zur Verarbeitung von Informationen. In der eigentlichen Sachgüterproduktion arbeitet in den 39 größten Städten der EU nur noch etwa ein Viertel der Erwerbstätigen. Auch in Wien hat die Beschäftigung im tertiären Sektor seit 1971 um 155.000 Personen oder 36% zugenommen, zuletzt umfaßte der Dienstleistungsbereich schon 78% aller unselbständig Beschäftigten. Die Erosion der Güterproduktion in Wien darf aber weder in ihrem Ausmaß noch in der Richtung der Entwicklung als "natürliche" Folge der Tertiärisierung gewertet werden. Wiens Sachgüterproduktion verliert auch im Vergleich der 39 größten europäischen Stadtregionen relativ viele Arbeitsplätze, ihr Anteil an der Beschäftigung liegt mittlerweile deutlich unter dem Durchschnitt dieser Städte. Eine Entwicklung zu einem Zentrum international handelbarer Dienstleistungen Grund für De-Industrialisierung in den Metropolen im Kernraum der EU ist bisher kaum festzustellen. Die ungünstige Performance der Wiener Sachgüterproduktion resultiert viel zumindest teilweise aus der historischen Entwicklung: Die Trennung von seinem ökonomischen Hinterland über mehr als 40 Jahre schirmte Wien nicht nur von Nachfragepotentialen ab, sondern ließ auch eine spezifische Wirtschaftsstruktur entstehen; die starke Orientierung auf lange Zeit geschützte Bereiche des Inlandsmarktes schwächte über Jahrzehnte jenen Modernisierungs- und Umstrukturierungsdruck ab, dem etwa die Unternehmen in Westösterreich mit ihrer Ausrichtung auf die kompetitiven Märkte Westeuropas schon früh ausgesetzt waren. Das Engagement auf dem Inlandsmarkt dämpfte Produktionsdynamik und Investitionsbereitschaft. Die Industrieproduktion wuchs in Wien zwischen 1981 und 1994 jährlich um fast 1 Prozentpunkt schwächer als im Österreich-Durchschnitt und um 0,3 Prozentpunkte langsamer als in westeuropäischen Großstädten. Hingegen beeinflußte die Industriestruktur, in der typische Großstadtbranchen überwiegen, die jüngere Entwicklung weder positiv noch negativ. Branchen ohne Standortvorteile schrumpften, und in den großen Branchen (Elektro-, Fahrzeug-, Nahrungsmittelindustrie, Maschinenbau, Chemieindustrie), auf die fast drei Viertel der gesamten Industriebeschäftigung Wiens entfallen, ging die schwache Produktionsdynamik auf Wettbewerbsschwächen zurück. Im selben Zeitraum sank die Zahl der Betriebe im Kernbereich der Industrie um mehr als ein Fünftel. Standortverlagerungen und Rationalisierungen im verbleibenden Bestand schlugen sich andererseits in einem nicht nur im nationalen, sondern auch im internationalen Vergleich beachtlichen Produktivitätsniveau der Wiener Industrie nieder. Langfristig wird die Wettbewerbsfähigkeit der Wiener Industrie vor allem durch eine Gründungs- und Innovationsschwäche belastet: Die teilweise durch Abwanderung ins Umland höhere Stillegungsrate wird nicht durch eine höhere Gründungstätigkeit kompensiert. Trotz hoher Qualifikation der Arbeitskräfte und großer Dichte von Forschungseinrichtungen tätigt die Industrie nicht mehr und nicht forschungsintensivere Innovationen als im Österreich-Durchschnitt. Auch in den großen Branchen werden das Innovationspotential und die Möglichkeit zu Großbetriebsvorteilen nicht ausreichend genutzt. Einige kleine, insbesondere mediennahe Industriebranchen sind zwar durch den Vorteil einer großen und differenzierten lokalen Nachfrage sehr dynamisch, aber nicht innovativ. Nähere Informationen entnehmen Sie bitte dem WIFO-Monatsbericht 8/1997! |