19. Dezember 1996 • Zögernde Konjunkturbelebung in Westeuropa. Die Konjunktur in den westlichen Industriestaaten • Georg M. Busch

Das Wirtschaftswachstum bleibt im OECD-Raum auf absehbare Zeit verhalten, das Produktionspotential generell unterausgelastet. Ein markanter Zinsauftrieb ist wenig wahrscheinlich, die Inflationsgefahr scheint nachhaltig gebannt. Mit der Überwindung der Wachstumsschwäche in Japan und Europa zeichnet sich ein größerer Gleichklang im internationalen Konjunkturverlauf ab. Europa ist mit besonders großen Herausforderungen konfrontiert: ungelösten Strukturproblemen, hoher Arbeitslosigkeit und dem Übergang zur Euro-Währung.

In den westlichen Industriestaaten beschleunigte sich 1996 das Wirtschaftswachstum geringfügig (von 2% im Vorjahr auf etwa 2¼%), blieb aber unter dem längerfristigen Durchschnitt. Innerhalb der "Triade" USA, Japan und EU traten deutliche Wachstumsunterschiede auf: teils aufgrund von Phasenverschiebungen im Konjunkturverlauf, teils auch aufgrund unterschiedlich akuter und verschieden gelagerter Strukturprobleme.

Relativ gleichförmig und spannungsfrei verlief die Konjunktur in den USA. Das Wirtschaftswachstum von knapp 2½% im Jahresdurchschnitt 1996 stützte sich auf eine breite Basis unter den Komponenten der Nachfrage. Der Preisauftrieb verharrte auf niedrigem Niveau, daher sah sich die Notenbank kaum zu restringierenden Maßnahmen in der Geldversorgung veranlaßt. Bei sinkender Arbeitslosigkeit konnte die Budgetpolitik die günstige Konjunktur zu weiteren Konsolidierungsfortschritten nutzen.

Japans Wirtschaft überwand 1996 die jahrelange Stagnation und erzielte im Jahresdurchschnitt ein Wachstum von rund 3½%. Im Gegensatz zu den USA blieb jedoch die Basis des Wachstums schmal. Es war in erster Linie von einer massiven Steigerung der öffentlichen Investitionen getragen, wenngleich sich bei historisch niedrigen Zinsen auch der private Konsum und der Wohnbau belebten.

In Westeuropa erholten sich Nachfrage und Produktion von ihrem Tiefpunkt zu Jahresbeginn, kamen aber bis zuletzt nur mäßig voran. In den EU-Ländern ist die Fiskalpolitik restriktiv eingestellt und dämpft so die Binnennachfrage; die Ausgabenneigung von Konsumenten und Investoren erwies sich dabei aber bisher als erstaunlich robust.

Ein primär europäisches Phänomen ist die hohe Arbeitslosigkeit. Mit 10½% des Arbeitskräftepotentials ist sie deutlich höher als in den USA und in Japan (mit 5½% bzw. 3¼%), obwohl außerhalb Europas das Angebot an Arbeitskräften rascher wächst. Wichtigster Grund hiefür ist das im Vergleich zu außereuropäischen Industriestaaten schleppende Wirtschaftswachstum. Darüber hinaus sind in Europa die Arbeitsmärkte vergleichsweise rigide, die Lohnbildung weniger flexibel, die soziale Sicherung und ihre Kosten höher. Bemühungen der Wirtschaftspolitik um eine Beschäftigungssteigerung konnten die Zunahme der Arbeitslosigkeit nicht verhindern. Sie verursachten jedoch hohe Budgetkosten und trugen zum Anstieg der Steuer- und Sozialabgabenlast bei, der seinerseits möglicherweise neue Hemmnisse für Wettbewerbsfähigkeit, Wachstum und Beschäftigung schuf.

Im Vorfeld der letzten Etappe zur Europäischen Währungsunion sind die Konjunkturaussichten für 1997 und 1998 mit einem unüblich großen Risiko- und Unsicherheitsspielraum verbunden. Die Budgetpolitik dürfte zumindest 1997 ihren restriktiven Kurs noch verstärken. Die laut Prognose robuste Binnennachfrage hängt daher von einer weiterhin hohen privaten Ausgabenneigung ab, die allerdings kaum durch einen weiteren Rückgang der Zinsen gestützt werden kann. Politische Entscheidungen über Zeitplan, Teilnehmerkreis und Modalitäten des Übergangs zur Euro-Währung könnten von den Finanzmärkten "getestet" werden, was das Risiko neuerlicher markanter Wechselkursverschiebungen und Exportbelastungen in den Hartwährungsländern birgt.

Internationale Konjunktur

 

BIP

Arbeitslosenquote

Inflationsrate

 

1996

1997

1998

1996

1997

1998

1996

1997

1998

 

Veränderung gegen das Vorjahr in %

In %

                   
USA +2,5 +2,0 +2,0 5,5 5,5 5,5 3,0 3,0 3,0
Japan +3,5 +1,5 +3,0 3,3 3,3 3,0 0,0 0,5 0,3
Deutschland +1,3 +1,8 +2,3 10,3 10,5 10,0 1,5 1,8 1,8
                   
EU +1,5 +2,0 +2,5 11,3 11,3 10,8 2,5 2,3 2,3
OECD-Europa +1,5 +2,0 +2,5 10,8 10,8 10,5 6,0 6,3 6,5
OECD +2,3 +2,0 +2,5 7,5 7,5 7,3 4,8 4,3 4,3