18. Juni 1996 Weitreichende Deregulierung des europäischen Versicherungsmarktes. Die Lage der österreichischen Versicherungswirtschaft 1994/95 Josef BaumgartnerDie wettbewerbsrechtlichen Rahmenbedingungen am Versicherungsmarkt haben sich durch die Teilnahme Österreichs am EWR gravierend geändert. Deregulierung und Liberalisierung werden vor allem im Massengeschäft erst über einen längeren Zeitraum quantitativ erfaßbare Effekte zeigen. Das Prämienwachstum fiel im inländischen Direktgeschäft der österreichischen Versicherungswirtschaft 1994 sehr mäßig aus. Nach einer leichten Erholung 1995 dürfte 1996 aufgrund der schlechten Konjunktursituation und der Auswirkungen der Budgetkonsolidierung das Prämienaufkommen nur schwach zunehmen. Durch die Teilnahme Österreichs am EWR haben sich die wettbewerbsrechtlichen Voraussetzungen für die österreichische Versicherungswirtschaft weitreichend geändert. Bis Ende 1993 war für den Betrieb einer direkten Vertragsversicherung in Österreich eine Konzession durch die österreichische Versicherungsaufsichtsbehörde notwendig; wegen der unterschiedlichen Rechts- und Aufsichtssysteme brachte dies eine weitreichende Abschottung des nationalen Versicherungsmarktes gegenüber ausländischen Anbietern mit sich. Mit Inkrafttreten der dritten Richtliniengeneration gilt in der EU bzw. im EWR das Prinzip der einheitlichen Zulassung. Ein in einem EWR-Staat zugelassenes Versicherungsunternehmen hat demnach die Möglichkeit, in jedem Vertragsstaat des EWR-Abkommens das Geschäft der direkten Vertragsversicherung auf Grundlage der im Sitzstaat bestehenden Konzession im Niederlassungs- oder Dienstleistungsverkehr zu betreiben. Bis Ende April 1996 haben insgesamt 167 Unternehmen aus dem EWR 227 Anmeldungen zum grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehr in Österreich eingebracht (47 Lebensversicherung, 56 Krankenversicherung, 124 Schaden- und Unfallversicherung). Die Mehrzahl der Unternehmen kommt aus Deutschland (43) und Großbritannien (32). Zusätzlich waren Ende April 1996 9 EWR-Unternehmen (6 aus Deutschland, 2 aus Frankreich, 1 aus Belgien) mit einer Niederlassung in Österreich vertreten. Die Verschärfung des Wettbewerbs durch die beträchtliche Zunahme ausländischer Versicherungsunternehmen auf dem österreichischen Markt ist insofern schwierig zu beurteilen, als die Anmeldung zum Niederlassungs- und Dienstleistungsverkehr eines EWR-Versicherers – im Gegensatz zur Konzession für ein inländisches oder für ein ausländisches Nicht-EWR-Unternehmen – keiner Betriebspflicht unterliegt. Kurz- bis mittelfristig sind im Massengeschäft durch die EWR-Teilnahme bzw. den EU-Beitritt nur geringe Angebotsveränderungen zu erwarten, da der Aufbau eigener Vertriebsstrukturen zeitaufwendig und teuer ist. Auch von der Nachfrageseite dürfte wegen der anfangs noch geringen Aufgeschlossenheit der Konsumenten gegenüber neuen, ausländischen Versicherungsprodukten und der steuerlichen Ungleichbehandlung von Verträgen mit ausländischen Gesellschaften zumindest mittelfristig ebenfalls keine großen Veränderungen ausgehen. Langfristig wird nach dem Aufbau geeigneter Vertriebswege die Geschäftstätigkeit von EWR-Versicherern hauptsächlich in den Sparten Lebensversicherungen und Schaden- und Unfallversicherungen zunehmen. In der Folge wird der verschärfte Wettbewerb das Prämieneinnahmenwachstum dämpfen und tendenziell den Kostendruck erhöhen. Da sich der Schadensaufwand nur begrenzt reduzieren läßt, liegt der wichtigste Faktor zur Gewinnung von Wettbewerbsvorteilen in der Senkung der Aufwendungen für den Versicherungsbetrieb. Bis Ende April 1996 haben 34 österreichische Unternehmen 213 Anmeldungen zum freien Dienstleistungsverkehr in EWR-Ländern eingebracht und damit grundsätzlich die Möglichkeit, ihre Versicherungsprodukte im EWR anzubieten (61 Lebensversicherung, 27 Krankenversicherung, 125 Schaden- und Unfallversicherung). Der Großteil der Anmeldungen bezieht sich auf Deutschland (53) und Italien (38). Der Zugang zu diesem Markt wirkte sich aber erwartungsgemäß im Jahr 1994 kaum aus. Lediglich in der Sparte Schaden- und Unfallversicherung wurde ein kleiner Teil des Geschäfts (0,05% der verrechneten Prämien im direkten Geschäft) im EWR abgewickelt. Mit der zu erwartenden Wettbewerbsverschärfung auf dem inländischen Markt steigt aber der Druck, die Aktivitäten im Ausland und hier wegen des erleichterten Zugangs vor allem im EWR zu verstärken. Im inländischen Direktgeschäft stieg das Prämienaufkommen 1994 laut den Angaben des Versicherungsverbands (VVÖ) um 3,9% auf 121,3 Mrd. S. Für 1995 und 1996 ist von einem zurückhaltenden Wachstum von 6,7% und 4,4% auszugehen. Im inländischen Direktgeschäft der Lebensversicherung fiel der Anstieg 1994 mit 1,4% sehr gering aus. Wegen der starken Zunahme der Einmalerläge (rund +50%) wird für 1995 mit einem Zuwachs von rund 14% gerechnet. Aufgrund der Konjunkturentwicklung und der Auswirkungen der Budgetkonsolidierung sind die Wachstumsaussichten für 1996 eher gedämpft. Die private Krankenversicherung erreichte 1994 einen Anstieg der Prämieneinnahmen von 3,6% (1995 +3,0%, 1996 –0,7%). Langsamer als in den Vorjahren nahmen 1994 die verrechneten direkten inländischen Prämien in der Schaden- und Unfallversicherung zu (+5,6%). Bemerkenswert ist aber die Ausweitung des indirekten Geschäfts (+31,5%); insgesamt weist die Schaden- und Unfallversicherung im Gesamtgeschäft mit +9,8% die zweitgrößte Prämiensteigerung seit 1981 auf. Für 1995 und 1996 sind für die direkten inländischen Prämieneinnahmen Raten von +2,9% bzw. +3,2% zu erwarten.
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