Wirtschaftsforschung mit
internationaler Reputation: Josef Steindl 1912-1993
Das Österreichische
Institut für Wirtschaftsforschung genießt seit jeher internationales Ansehen, das
bereits in den Anfängen des Institutes durch Persönlichkeiten wie Ludwig von Mises,
Friedrich A. von Hayek und Oskar Morgenstern begründet wurde. Als verdienstvoller
langjähriger WIFO-Mitarbeiter hat auch Josef Steindl, dessen 100. Geburtstag heuer
zu begehen ist, dieses Ansehen entscheidend geprägt. Neben seiner Tätigkeit als
empirischer Wirtschaftsforscher lieferte er – wie
sein Freund und Kollege Kurt W. Rothschild (1914-2009) – vielbeachtete Beiträge zur Wirtschaftstheorie.
Der Autor dankt Felix Butschek,
Gunther Tichy und Ewald Walterskirchen für wertvolle Hinweise. • E-Mail-Adresse:
Alois.Guger@wifo.ac.at
INHALT
Zwischen Universität und Wirtschaftsforschung
Langfristige Entwicklungstendenzen als
forschungsleitende Idee
Josef Steindl trat 1935
unmittelbar nach der Promotion an der Hochschule für Welthandel (heute Wirtschaftsuniversität
Wien) in das Institut für Konjunkturforschung ein, das zu dieser Zeit von Oskar
Morgenstern geleitet wurde. Unter dem Eindruck der hohen Arbeitslosigkeit und der
verbreiteten Armut wandte er sich bald von der damals sehr einflussreichen Österreichischen
Schule ab und griff – angeregt durch die stimulierende
Umgebung des Institutes und dessen internationale Kontakte[a]) – die
neuen Ideen von John M. Keynes lange vor den heimischen Universitäten auf. Bereits
1937 nahm er mit seinem ersten wirtschaftstheoretischen Artikel "Der Konjunkturzyklus
von Harrod" die Diskussion der gerade erschienenen neuen keynesianischen Ideen
auf.
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Curriculum |
Mag. Alois Guger wurde am 3. September
1944 in St. Marien an der Krems in Oberösterreich geboren. Nach dem Volkswirtschaftsstudium
an der Johannes Kepler Universität in Linz war er am Institut für Volkswirtschaftslehre
an der Technischen Universität Wien als Universitätsassistent tätig und trat im
Dezember 1981 ins WIFO ein. Seine Arbeitsschwerpunkte waren Lohn-, Einkommens-
und Sozialpolitik sowie Einkommensverteilung. Mit einer Arbeit über die ökonomische
Bedeutung der österreichische Sozialpartnerschaft "Corporatism: Success or
Failure? Austrian Experiences" trug er zur internationalen Korporatismus-Diskussion
bei. Er koordinierte drei umfassende WIFO-Studien zur "Umverteilung durch
den Staat in Österreich" (1986, 1996, 2009). Zu Ehren von Josef Steindl organisierte
er anlässlich von dessen 80. Geburtstag (1992) und des 10. Todestages (2003) zwei
internationale Konferenzen. Er ist seit Oktober 2009 im Ruhestand, steht aber
dem WIFO weiterhin als Emeritus Consultant zur Verfügung. |
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1938 verlor er im Gefolge
des Anschlusses an Deutschland wegen seiner kritischen Haltung gegenüber dem neuen
Regime seine Stellung am Institut. Mit Hilfe der schon früher emigrierten Ökonomen
Mises, Hayek und Haberler erhielt er ein Stipendium als Lektor am Balliol College
in Oxford. 1941 trat er ins Oxford Institute of Statistics ein, an dem sein weiteres
ökonomisches Denken von Michal Kalecki und der englischen Nationalökonomie entscheidend
geprägt wurde.
Steindl kehrte 1950 nach
Wien an das Institut für Wirtschaftsforschung zurück; trotz der empirischen Orientierung
des Instituts wurde ihm mit finanzieller Unterstützung durch die Rockefeller Foundation
auch die Möglichkeit für theoretische Arbeiten eröffnet. Die Anerkennung der heimischen
Universitäten kam erst spät: Die Universität Wien ernannte Josef Steindl 1970 zum
Honorarprofessor, und 1985 verlieh ihm die Universität Graz das Ehrendoktorat. Im
Studienjahr 1974/75 war er als Gastprofessor an der Stanford University in Kalifornien
tätig.
Josef Steindl trat 1978
offiziell in den Ruhestand, blieb aber bis zu seinem Tod 1993 dem Institut für Wirtschaftsforschung
als Konsulent verbunden und publizierte regelmäßig in angesehenen Zeitschriften.
Josef Steindls wissenschaftliches
Hauptinteresse galt der klassischen Frage nach den säkularen Entwicklungstendenzen
der kapitalistischen Wirtschaft. In der Tradition seines Lehrers Michal Kalecki
verknüpfte er in seinem Werk Methoden der mikro- und makroökonomischen Analyse und
entwickelte sein Forschungsprogramm stets im Lichte der praktischen Erfahrung weiter.
Josef Steindl war immer mehr am praktischen Wirtschaftsgeschehen interessiert als
an den "Modeströmungen" der Ökonomie und griff daher früh Probleme von
längerfristigem Interesse auf.
In seinem ersten Buch "Small
and Big Business" aus dem Jahr 1945 analysierte Steindl den Prozess der zunehmenden
Kapitalkonzentration und Oligopolisierung der Märkte und sah neben den bekannten,
technisch bedingten Vorteilen der Massenproduktion die Ursachen in den hohen Kosten
von Forschung und Entwicklung und den günstigeren Finanzierungsmöglichkeiten für
größere Unternehmen.
Auf der Grundlage dieser
Monopolisierungstendenzen entwickelte Steindl in seinem Hauptwerk "Maturity
and Stagnation in American Capitalism" (1952) eine Theorie der Stagnation und
erklärte damit den Rückgang der Wachstumsraten in den USA vom späten 19. Jahrhundert
bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges.
In seiner Theorie kommt
dem Wettbewerb eine entscheidende Rolle für den Abbau und die Verhinderung von Überschusskapazitäten
zu. Im Zuge der zunehmenden Kapitalkonzentration und Oligopolisierung der Märkte
wird jedoch diese Funktion des Wettbewerbes mehr und mehr abgeschwächt. Die Folge
sind drohende Überkapazitäten, die die Investitionsneigung der oligopolistischen
Unternehmen dämpfen und Stagnationstendenzen auslösen. Diese Entwicklung wird noch
verstärkt durch ein stärkeres Sicherheitsbedürfnis der großen Konzerne, die weniger
risikofreudig agieren, die Verschuldungsquote senken und die internen Ersparnisse
steigern. Die Annahme, dass Großkonzerne ihre Vorteile aufgrund von Skalenerträgen
eher zur Sicherung ihres Überlebens als zur Nutzung jeder Gewinnchance einsetzen,
hat Steindl 1965 in seinem Buch "Random Processes and the Growth of Firms"
an einem stochastischen Modell begründet und empirisch untermauert. Die Ausweitung
der Oligopolmärkte im Zuge der Industrialisierung bringt also Überkapazitäten mit
sich, die die Investitionsbereitschaft hemmen, und durch höhere Gewinnmargen eine
Umverteilung der Gewinne gerade zu jenen Branchen, die ihre Kapazitäten nur zögernd
ausweiten.
Der Publikationstermin
für Steindls Stagnationstheorie (1952) zu Beginn des Nachkriegsboomes hätte nicht
ungünstiger sein können; die Schwierigkeiten der 1970er-Jahre erweckten jedoch wieder
erneutes Interesse an seiner Theorie. Inzwischen hatte der Autor seine Ideen im
Lichte der Nachkriegserfahrung weiterentwickelt und sprach nun von "Stagnation
Theory and Stagnation Policy" (1979): Steindl sah erstens seit dem Zweiten
Weltkrieg wichtige Strukturänderungen: Die bürokratische und hierarchische Organisation
der Großkonzerne behindere effiziente Forschungs- und Entwicklungsstrategien, das
Interesse der Konzerne habe sich von der Produktions- in die Finanzsphäre mit dem
Ziel der Marktbeherrschung durch Fusionsstrategien verschoben. Zum anderen nahm
das Sparen der privaten Haushalte mit steigendem Einkommen überproportional zu,
sodass die Entwicklung der effektiven Nachfrage und damit die Absatzmöglichkeiten
gedämpft werden – kurz in Steindls eigenen Worten:
"the economy is unable to adjust to low growth rates because its savings propensity
is adapted to a high one" (Steindl,
1979, S. 9).
Während sich diese Faktoren
nach und nach in der Nachkriegszeit entwickelten, veränderte sich um die Mitte der
1970er-Jahre das Wirtschaftsklima erheblich: Nach dem Zusammenbruch des Weltwährungssystems
fehlte jede internationale Kooperation in Fragen der Währungs-, Zins- und Schuldenpolitik,
die Regierungen änderten ihre Haltung zur Politik der Vollbeschäftigung und nahmen
im Dienste der Inflationsbekämpfung eine starke Zunahme der Arbeitslosigkeit hin.
Dazu kamen in Zusammenhang mit der Energie- und Umweltproblematik zunehmende Zweifel
an den längerfristigen Wachstumsaussichten und an der weiteren technologischen Entwicklung
– insgesamt Faktoren, die die Investitionslust der
Wirtschaft dämpften.
Josef Steindl verknüpfte
seine angewandten Themen am WIFO mit theoretischen Beiträgen zur internationalen
Diskussion der Arbeitsmarktanalyse sowie der Einkommens- und Vermögensverteilung[b]). Seine weiten naturwissenschaftlichen und technischen
Interessen kommen in seinen vielbeachteten Arbeiten zum technischen Fortschritt,
den er in Analogie zum Prozess der Evolution in der Biologie erklärt (Steindl, 1980, 1982A, 1982B), und seinen
Branchenstudien in den 1950er-Jahren am Institut für Wirtschaftsforschung deutlich
zum Ausdruck. In diesen Arbeiten über die Stahl- und Papierindustrie, die durch
technologische Detailkenntnisse bestechen, hat Steindl schon damals die später akut
gewordenen Probleme aufgezeigt und auf die Technologiepolitik als eine der vordringlichsten
Aufgaben der Wirtschaftspolitik verwiesen. Mit seiner Arbeit "Wie wirkt die
Ausgabe einer zusätzlichen Milliarde Schilling?" erwies er sich als Pionier
der empirischen Multiplikatoranalyse und brachte die keynesianische Konjunktursteuerung
schon damals in die heimische wirtschaftspolitische Diskussion ein (Steindl, 1956).
Den unmittelbar stärksten
Einfluss auf die praktische Politik dürften aber Steindls Arbeiten zur Bildungspolitik
und Bildungsplanung Mitte der 1960er-Jahre gehabt haben: Er verwies auf die Bedeutung
der Bildung im Wachstumsprozess und forderte eine Ausweitung der technischen Ausbildungskapazitäten
(insbesondere HTL) als wesentliche Voraussetzung für eigenständige technologische
Entwicklungen in Österreich, die über den Zukauf von Know-how aus dem Ausland hinausgehen
(Steindl, 1965B, 1967).
Josef Steindl war nie ein
Meister der Selbstdarstellung, der sich ins Rampenlicht gedrängt hätte. Er war eher
introvertiert mit freundlichem und konziliantem Auftreten, aber festen Grundsätzen
ohne Konzessionen an den Zeitgeist. Sein Denken war nie der Mode unterworfen, sondern
entwickelte sich in der Tradition der klassischen politischen Ökonomie mit einem
hohen Maß an Originalität an den brennenden wirtschaftspolitischen Problemen der
Zeit. Er zählte zu jener Gruppe herausragender Ökonomen, die in jedem Zweig ihres
Faches, dem sie ihr Interesse zuwenden, richtungsweisende und bleibende Beiträge
leisten.
Josef Steindl verkörperte
aber nicht nur einen der hervorragendsten Vertreter seines Faches, sondern auch
eine Persönlichkeit mit umfassender Bildung und breiten naturwissenschaftlichen,
literarischen und musischen Interessen.
Rothschild, K.
W., "Josef Steindl: 1912-1993", The Economic Journal, 1994, 104(1), S.
131-137.
Steindl, J., "Der
Konjunkturzyklus von Harrod", Zeitschrift für Nationalökonomie, 1937, 9(2),
S. 229-237.
Steindl,
J., Small and Big Business: Economic Problems of the Size of Firms, Blackwell, Oxford,
1945.
Steindl,
J., Maturity and Stagnation in American Capitalism, Blackwell, Oxford, 1952.
Steindl, J., "Wie
wirkt die Ausgabe einer zusätzlichen Milliarde Schilling?", WIFO-Monatsberichte,
1956, (29), Sonderheft Nr. 9.
Steindl, J., "Die
Schichtung der persönlichen Einkommen in Österreich", Beilagen zu den WIFO-Monatsberichten,
1958, (52).
Steindl,
J. (1965A), Random Processes and the Growth of Firms, Charles Griffin, London, 1965.
Steindl,
J. (1965B), "The Role of Manpower Requirements in the
Educational Planning Experience of the Austrian E. I. P. Team", in OECD, Manpower Forecasting
in Educational Planning, Paris, 1965.
Steindl, J., "Bildungsplanung
und wirtschaftliches Wachstum. Der Bildungsbedarf in Österreich bis 1980",
WIFO, Studien und Analysen, 1967, (2).
Steindl,
J., "The Distribution of Wealth after a Model of Wold
and Whittle", Review of Economic Studies, 1972, 39(3).
Steindl, J., "Der
Arbeitsplatzwechsel als Erneuerungsprozeß"‚ Empirica, 1974, 1(1).
Steindl, J., "Sparen
und Einkommensverteilung", Empirica, 1976, 3(1), S. 55-76.
Steindl,
J., "Size Distributions in Economics", in Kruskal,
W. H., Tanur, J. K. (Hrsg.), International Encyclopaedia of Statistics, Vol. 2,
Macmillan, New York, 1978,
S. 994-1000.
Steindl,
J., "Stagnation Theory and Stagnation Policy",
Cambridge Journal of Economics, 1979, 3(1), S. 1-14.
Steindl,
J., "Technical Progress and Evolution", in Sahal,
D. (Hrsg.), Research, Development and Technical Innovation, D. C. Heath & Co,
Lexington, 1980, S. 131-141.
Steindl,
J. (1982A), "Technology and the Economy: The Case of
Falling Productivity Growth in the 1970s", in Sahal, D. (Hrsg.), The Transfer
and Utilisation of Technical Knowledge, D. C. Heath & Co, Lexington, 1982.
Steindl, J. (1982B),
"Innovation, Forschung und Technologie", in Kramer, H. (Hrsg.), Perspektiven
der österreichischen Industrie, Schriftenreihe der Bundeswirtschaftskammer, 1982,
(47), S. 63-74.
Steindl,
J., Economic Papers 1941-88, Macmillan, Basingstoke, 1990.
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Economic Research of an International Standing: Josef Steindl 1912-1993 – Summary |
WIFO's international reputation was established already in its earliest years, by celebrities such as Ludwig von Mises, Friedrich A. von Hayek and Oskar Morgenstern. In addition to celebrating the 85th anniversary of its foundation, WIFO is this year also commemorating the 100th anniversary of the birth of one of its most meritorious members, a scientist of international renown whose work was decisive in gaining this reputation: Josef Steindl. Josef Steindl joined the "Institut für Konjunkturfoschung" in 1935 directly after graduating from university. Due to his hostility to the Nazi regime he lost his job in 1938 and thus spent his "formative years" in Oxford in a group around Michal Kalecki. In 1950, he returned to Austria and his former job at WIFO. In spite of formally retiring in 1978 he stayed on as a consultant until his death in 1993. Josef Steindl was one of the most thoughtful and original thinkers. Though he stood firmly in the tradition auf Kalecki and Keynes he was a scientific personality of his own whose research attracted worldwide attention. He concentrated on the classical questions of the long-run developments of capitalism such as the role of monopolies and technological change as well as distribution and savings in the process of capital accumulation. |
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[a]) Rothschild (1994, S. 131) spricht vom Institut unter der Leitung
von Hayek und ab 1931 von Morgenstern als "the main centre for new theoretical and
empirical thinking and research where talented young economists were given a
chance (as permanent researchers like Steindl or as guests) to get acquainted
with current developments".
[b]) Als Beispiele seien Steindl (1972, 1974, 1976, 1978) angeführt. Eine ausführliche Bibliographie findet sich in "The Writings of Josef Steindl. A First Bibliography (compiled by Alois Guger)", Empirica, 1993, 20(3), S. 271-277, ein Überblick über seine wichtigsten Arbeiten in Steindl (1990).