WIFO

 

Die stabilisierende Wirkung der Sozialpolitik in der Finanzmarktkrise

 

Sozialpolitische Maßnahmen leisteten in der EU einen wesentlichen Beitrag zur Stabilisierung in der jüngsten Rezession. Automatische Stabilisatoren eines progressiven Abgabensystems und eines gut ausgebauten Transfersystems spielten dabei eine besondere Rolle. Diskretionäre Maßnahmen waren wichtig, blieben in ihrer BIP- und Beschäftigungswirkung jedoch aufgrund der verbreiteten Unsicherheit und des hohen Anteils der Abgabensenkungen am Maßnahmenvolumen verhalten. Die erwartungsstabilisierenden Effekte des Sozialstaates sind schwierig zu quantifizieren, ihnen dürfte aber große Bedeutung zukommen.

 

Der Beitrag basiert auf einer Studie des WIFO in Zusammenarbeit mit IZA, FRDB, IDEA und NIRAS im Auftrag des Europäischen Parlaments: Werner Eichhorst, Mathias Dolls, Paul Marx, Andreas Peichl (IZA), Stefan Ederer, Thomas Leoni, Markus Marterbauer, Lukas Tockner (WIFO), Gaetano Basso (FRDB), Maarten Gerard, Ingrid Vanhoren (Idea Consult), Connie Nielsen (NIRAS), The Role of the Social Protection as an Economic Stabiliser: Lessons from the Current Crisis (IZA Research Reports, 2010, 31, IP/A/EMPL/FWC/2008-02/C1/SC3, http://www.wifo.ac.at/wwa/pubid/41362) • Begutachtung: Michael Wüger • Wissenschaftliche Assistenz: Doris Gabriel • E-Mail-Adressen: Thomas.Leoni@wifo.ac.at, Markus.Marterbauer@wifo.ac.at, Lukas.Tockner@wifo.ac.at, Doris.Gabriel@wifo.ac.at

 

INHALT

Antizyklische Politik in der Rezession

Sozialpolitik als automatischer Stabilisator

Sozialpolitik durch fiskalpolitische Intervention

Diskretionäre sozialpolitische Maßnahmen in der Krise

Gesamtwirtschaftliche Effekte diskretionärer Sozialpolitik

Beschäftigungseffekte diskretionärer Sozialpolitik

Diskretionäre Sozialpolitik und Unsicherheit

Reformbedarf bezüglich des Einsatzes diskretionärer Sozialpolitik

Literaturhinweise

 

VERZEICHNIS DER ÜBERSICHTEN

Übersicht 1: Diskretionäre Sozialpolitik in der EU. 8

Übersicht 2: Gesamtwirtschaftliche Wirkungen der diskretionären sozialpolitischen Maßnahmen. 10

Übersicht 3: Konsumeffekte der diskretionären sozialpolitischen Maßnahmen. 11

Übersicht 4: Beschäftigungsausweitung aufgrund der diskretionären sozialpolitischen Maßnahmen. 13

Übersicht 5: Auswirkungen von erhöhter Unsicherheit und Vorsichtssparen in Deutschland. 14

 

 

Die schwere Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise wurde 2009 und 2010 in ihren Wirkungen auf BIP und Beschäftigung in der EU durch Maßnahmen der antizyklischen Wirtschaftspolitik merklich abgefedert. Sozialpolitische Interventionen spielten dabei eine wichtige Rolle, sowohl in Form der automatischen Stabilisatoren der öffentlichen Haushalte als auch durch diskretionäre Anpassungen von Abgaben und Transfers sowie durch die Stabilisierung der Erwartungen der privaten Haushalte. Unter sozialpolitischen Maßnahmen im weiteren Sinn werden dabei alle jene Interventionen erfasst, die auf Einkommen und Beschäftigung der Bevölkerung bzw. bestimmter sozialer Gruppen abzielen.

Der große Vorteil automatischer Stabilisatoren besteht in ihrer kurzfristigen Wirkung: Im Bereich der Sozialausgaben ist die Arbeitslosenunterstützung die wichtigste Komponente. Ihre stabilisierende Wirkung ist umso größer, je höher die Ersatzrate in Relation zum Nettoeinkommen und je länger die Bezugsdauer ist. Auch Ausgaben für Pensionen und Gesundheit wirken als automatische Stabilisatoren. Das Abgabensystem wirkt umso stärker stabilisierend, je höher sein Progressionsgrad ist. Innerhalb der EU unterscheiden sich die automatischen Stabilisierungseffekte des Sozialstaates erheblich: Sie sind in Dänemark am höchsten vor Belgien, Deutschland, Schweden und Österreich. In Süd- und Osteuropa sind sie relativ gering. Für die EU insgesamt ergibt sich eine deutlich höhere Stabilisierungswirkung als für die USA. Die stabilisierenden Effekte des Sozialstaates in der Krise könnten dadurch erhöht werden, dass manche diskretionären Elemente der Politik automatisiert werden: So machte etwa Dänemark gute Erfahrungen mit einer automatischen Ausweitung der Mittel für Trainings- und Qualifizierungsmaßnahmen bei einem Anstieg der Arbeitslosenquote; eine ähnliche Vorgangsweise wäre für die Anpassung von Höhe und Bezugsdauer von Arbeitslosengeld oder Mindestsicherung denkbar.

Die aktive diskretionäre Fiskalpolitik spielte in der jüngsten Rezession eine wichtige Rolle, auch weil die Geldpolitik bereits in einer frühen Phase nur mehr eingeschränkt wirkte und die Krise außerordentlich tief war. In diesem Rahmen waren auch sozialpolitische Maßnahmen bedeutend. Sie erreichten 2009 und 2010 in der EU ein Volumen von etwa 1,1% des BIP und bestanden überwiegend in der Senkung von Abgaben der privaten Haushalte. Nur Dänemark, Schweden, Belgien, Portugal und Spanien setzten ausgabenseitige Impulse, deren Volumen größer als ½% des BIP war. Diese Maßnahmen steigerten nicht nur das BIP im Inland, sondern auch jenes der Handelspartner. So erhöhte sich das BIP in Österreich dank eigener diskretionärer sozialpolitischer Maßnahmen (von Senkung der Einkommensteuer über die Ausweitung von Transfers bis zu Kurzarbeit) 2009 und 2010 um etwa 1%, dazu kam ein Effekt von +½% des BIP aufgrund von Maßnahmen anderer EU-Länder. Für den Euro-Raum ergibt sich ein Anstieg des BIP von 0,9%. In der EU wurden durch diskretionäre sozialpolitische Maßnahmen zur Konjunkturstützung etwa 330.000 Arbeitsplätze geschaffen. Die positiven Effekte wären bei besserer Koordination zwischen den EU-Ländern und stärkerer Konzentration auf die temporäre Ausweitung von Transfers an Haushalte mit hoher Konsumneigung und auf die direkte Beschäftigungsförderung höher gewesen.

Über die Wirkung der automatischen Stabilisatoren und der diskretionären Maßnahmen hinaus entfaltet der Sozialstaat auch dadurch antizyklische Wirkung, dass er die Erwartungen der privaten Haushalte stabilisiert und das Entstehen von Vorsichtssparen verhindert. Diese Wirkung ist empirisch schwierig zu quantifizieren, dürfte in Bezug auf Wachstum und Beschäftigung allerdings mit jener der in der jüngsten Krise implementierten diskretionären Maßnahmen vergleichbar sein.

Antizyklische Politik in der Rezession

Der schwere Konjunktureinbruch in der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise löste eine Rückkehr zu aktiver konjunkturpolitsicher Gegensteuerung aus. Über die unmittelbare Wirkung der automatischen Stabilisatoren auf die öffentlichen Einnahmen und Ausgaben hinaus wurde auch eine diskretionäre Budgetpolitik eingesetzt. Sozialpolitische Maßnahmen spielten dabei eine wesentliche Rolle.

Ab dem Frühjahr 2008 erfasste die weltweite Finanzmarktkrise auch die Realwirtschaft: In der EU sank das BIP im Jahr 2009 real um 4,2%. Die saisonbereinigte Zahl der Arbeitslosen erhöhte sich um 7 Mio. auf 23 Mio., die Arbeitslosenquote stieg 2010 auf 9,6% der Erwerbspersonen. Die im Sozialsystem eingebauten Stabilisierungsmechanismen und der Einsatz expansiver Sozialpolitik trugen dazu bei, sowohl Dauer als auch Ausmaß der Rezession zu beschränken. Dies gilt für die automatischen Stabilisatoren auf der Einnahmen- und Ausgabenseite des öffentlichen Sektors wie auch für diskretionäre Maßnahmen der Sozialpolitik im Rahmen der Konjunkturpakete, die in den meisten EU-Ländern implementiert wurden. Dabei erwies sich die Wirkung der Sozialpolitik als besonders günstig, da sie tendenziell besonders jenen sozialen Gruppen hilft, die am härtesten getroffen werden, und relativ stark nachfragewirksam ist.

In der Rezession sinken Einkommen und Beschäftigung. Dies löst einen Rückgang der Abgabeneinnahmen und einen Anstieg der Transferzahlungen des Staates aus. So entsteht ein automatischer Beitrag zur Stabilisierung von verfügbaren Einkommen und Konsumnachfrage der privaten Haushalte. Die Wirksamkeit dieser automatischen Stabilisatoren ist umso effektiver, je höher der Progressionsgrad des jeweiligen Steuersystems ist (van den Noord, 2000). Der Vorteil der automatischen Stabilisatoren liegt in ihrer Wirksamkeit ohne Zeitverzögerung: Sobald das BIP zurückgeht, werden Effekte auf das verfügbare Einkommen induziert.

Zusätzlich zu den automatischen Stabilisatoren wurden diskretionäre Stabilisierungsmaßnahmen gesetzt. Ihre Vorteile bestehen im potentiell umfangreichen Volumen und in ihrer öffentlichen Wahrnehmung, die die Erwartungen stabilisieren kann. Ihr Nachteil besteht in der Verzögerung, die sich durch den zeitlichen Aufwand von Problemdiagnose, Beschlussfassung und Implementierung ergibt; zudem sind diskretionäre Maßnahmen bisweilen durch den politischen Entscheidungsprozess und Partikularinteressen geprägt.

Die aktive Fiskalpolitik wurde in den letzten Jahrzehnten im akademischen Diskurs und in der wirtschaftspolitischen Praxis in den Hintergrund gedrängt. In der weltweiten Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise wurde die diskretionäre Stabilisierungspolitik allerdings aus mehreren Gründen intensiv genutzt: Erstens war der Spielraum der konventionellen Geldpolitik bereits in einer frühen Phase der Krise weitgehend ausgereizt, und die Nachfragewirkungen einer Niedrigzinspolitik sind in einer Situation der Unterauslastung und der gedämpften Erwartungen meist relativ gering. Zweitens war rasch offensichtlich, dass der Abschwung stark und die Wirkungen auf dem Arbeitsmarkt anhaltend sein würden. Wie empirische Untersuchungen zeigen, beeinträchtigt eine Rezession nach einer Finanzmarktkrise Wachstum und Beschäftigung besonders stark und lang (Reinhart Rogoff, 2008). Aktives fiskalpolitisches Gegensteuern war deshalb gut begründet (Blanchard Dell'Ariccia Mauro, 2010).

Der aktive Einsatz von diskretionärer Stabilisierung in der aktuellen Krise wird auch anhand der Erfahrungen in der Vergangenheit gerechtfertigt. Studien zur Fiskalpolitik während der Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre und während der "verlorenen Dekaden" Japans betonen die Relevanz von substantieller und länger anhaltender fiskalpolitischer Intervention. Sowohl in den USA 1937 als auch in Japan 1997 hatten demnach die verfrühten nachfragewirksamen Konsolidierungsbemühungen einen Rückfall in die Rezession zur Folge (Fatás Mihov, 2009, Romer, 1991, Spilimbergo et al., 2008).

Soziale Sicherungssysteme können im Rahmen der Stabilisierungspolitik auch deshalb besondere Bedeutung haben, weil sie die Erwartungen der Wirtschaftssubjekte beeinflussen (Tichy, 1999). In der Rezession tragen sie wesentlich zur Vermeidung von Unsicherheit und Vorsichtssparen und damit zur Stabilisierung der Konsumausgaben bei. Im Jahr 2009 sanken die Konsumausgaben gegenüber dem Vorjahr in der EU in Relation zur Tiefe der Rezession nur mäßig (Euro-Raum real 1,1%, EU 1,7%). Automatische Stabilisatoren und diskretionäre Maßnahmen der Sozialpolitik dürften wesentlich dazu beigetragen haben, die Erwartungen von privaten Haushalten und Unternehmen zu stabilisieren und die Unsicherheit in der Gesamtwirtschaft zu vermindern.

Sozialpolitik als automatischer Stabilisator

Der Progressionsgrad von Einkommensteuer und Sozialversicherungsbeiträgen sowie die Höhe und Bezugsdauer der Arbeitslosenunterstützung bestimmen die Wirksamkeit der automatischen Stabilisatoren. In Ländern mit großem Staatsanteil ist die stabilisierende Wirkung des Sozialsystems besonders hoch.

Die Arbeitslosenunterstützung ist die wichtigste Komponente der automatischen Stabilisatoren im Bereich der Sozialausgaben. Ihre stabilisierende Wirkung ist umso größer, je höher die Ersatzrate in Relation zum Nettoeinkommen und je länger die Bezugsdauer ist. Zwischen den EU-Ländern unterscheiden sich beide Kriterien erheblich. Die soziale Absicherung ist vor allem für die unteren Einkommensgruppen in den skandinavischen Ländern besonders günstig. In Dänemark beträgt die Bezugsdauer von Arbeitslosengeld höchstens 48 Monate, die Ersatzrate 90% des Letzteinkommens; in Schweden kann Arbeitslosengeld 14 Monate lang bezogen werden, die Ersatzrate beträgt 70% bis 80%. Relativ hoch ist die Absicherung auch in den Niederlanden, in Frankreich, Belgien und zum Teil in Portugal. In Deutschland und Österreich liegt die Ersatzrate des Arbeitslosengeldes im unteren Mittelfeld der EU-Länder[a]). Deutlich ungünstiger sind die sozialen Bedingungen und damit die stabilisierenden Wirkungen des Systems in den angelsächsischen, manchen südeuropäischen und den osteuropäischen Ländern.

Im Abschwung steigen neben den Aufwendungen für Arbeitslosengeld auch die staatlichen Ausgaben für Pensionen, Invaliditätspensionen, Krankenstände und den Gesundheitssektor (Darby Melitz, 2008). Empirisch zeigt sich ein enger Zusammenhang zwischen der Zahl der Frühpensionierungen und dem Konjunkturzyklus (Darby Hart Vecchi, 2001). Die Zugänge zur Invaliditätspension steigen in einer Rezession auch, weil Beschäftigte mit Gesundheitsproblemen dies als Alternative zu Arbeitslosigkeit sehen (Fahr Frick, 2007).

Gemäß allen Untersuchungen zur Wirksamkeit automatischer Stabilisatoren ist die Größe des Staatssektors gemessen an der Abgaben- und der Ausgabenquote entscheidend: je höher der Staatsanteil, desto stärker die Glättung der Einkommensentwicklung (Galí, 1994, Fatás Mihov, 2001, Furceri, 2009). Zudem spielen Budgetstruktur und institutionelle Faktoren eine wichtige Rolle für das unterschiedliche Ausmaß der Stabilisatorwirkung. Das Aufkommen direkter Steuern reagiert stärker auf Konjunkturschwankungen als jenes von Sozialversicherungsbeiträgen und Verbrauchssteuern (Baunsgaard Symansky, 2009) und hat deshalb eine größere Stabilisierungswirkung. Diese ist umso höher, je stärker der Progressionsgrad der Einkommensteuern ist.

Auch Regelungen zu Mindestsicherung und Sozialhilfe entfalten eine stabilisierende Wirkung. Zwischen den EU-Ländern unterscheidet sich das Ausmaß der sozialen Mindestsicherung erheblich, in den meisten Ländern liegt das Sicherungsniveau unter der Armutsschwelle (Frazer Marlier, 2009), lediglich Dänemark, Irland und die Niederlande bilden hier eine Ausnahme. Der starke Anstieg der Arbeitslosigkeit im Krisenverlauf zeigt die asymmetrische Betroffenheit der privaten Haushalte durch die Krise. Diese sozialpolitische Herausforderung wird durch das Phänomen der Working Poor verschärft. Wie eine Untersuchung der OECD für 21 europäische Länder zeigt, sind beinahe 80% der Working Poor teilzeitbeschäftigt (OECD, 2009A). Eine krisenbedingte Verschlechterung der Lage auf dem Arbeitsmarkt hat deshalb weitreichende Folgen in Bezug auf die Armutsgefährdung, denen eine aktive Sozialpolitik langfristig positiv entgegen wirken kann.

Die Ausgestaltung des Abgaben- und Transfersystems bestimmt wesentlich, in welchem Ausmaß ein negativer Schock auf die Einkommen oder die Beschäftigung das verfügbare Einkommen der privaten Haushalte schmälert und damit die Gesamtwirtschaft beeinträchtigt. Die stabilisierende Wirkung des Sozialstaates ist in der EU deutlich höher als in den USA (Dolls Fuest Peichl, 2009, Eichhorst et al., 2010). Das Ausmaß der automatischen Stabilisierungswirkungen variiert innerhalb der EU beträchtlich: Im Fall einer krisenbedingten Verringerung der Bruttoeinkommen ist die stärkste Stabilisierungswirkung in Dänemark am größten vor Belgien, Deutschland, Ungarn, Österreich und Schweden (Eichhorst et al., 2010), am geringsten in Estland, Spanien und Griechenland. Dies wird wesentlich durch Höhe und Progressionsgrad von Einkommensteuer und Sozialversicherungsbeiträgen bestimmt.

Ebenso ist die von einem Anstieg der Arbeitslosigkeit ausgelöste Stabilisierungswirkung in Dänemark am höchsten vor Schweden, Deutschland, Belgien, Luxemburg und Österreich und am geringsten in Estland, Italien und Griechenland. Bestimmt wird das Ausmaß der Wirkung der automatischen Stabilisatoren in diesem Fall von der Höhe und der Bezugsdauer der Arbeitslosenunterstützung. Die stabilisierende Wirkung des Sozialstaates ist meist in offenen Volkswirtschaften (gemessen am Export- oder Importanteil) besonders groß. Zwar ist in diesen Ländern die Importneigung hoch und die Multiplikatorwirkung expansiver fiskalpolitischer Maßnahmen deshalb relativ gering, doch weisen sie gleichzeitig meist einen hohen Staatsanteil am BIP auf, der eine ausgeprägte Wirkung der automatischen Stabilisatoren mit sich bringt (Rodrik, 1998).

Sozialpolitik durch fiskalpolitische Intervention

Die Höhe der Spar- und der Importneigung sowie das Verhalten der Geldpolitik bestimmen die Wirksamkeit diskretionärer budgetpolitischer Maßnahmen. Besonders hohe Beschäftigungswirkungen ergeben sich bei direkter öffentlicher Beschäftigung und zielsicherer Subvention, etwa im Fall von Kurzarbeit.

Die EU-Wirtschaftspolitik rang sich erst gegen Ende 2008, mitten in der Rezession, zu aktiver geld- und budgetpolitischer Gegensteuerung durch. Der Internationale Währungsfonds empfahl umfangreiche Konjunkturpakete, die "timely, large, lasting, diversified, contingent, collective and sustainable" sein sollten (Spilimbergo Symansky Blanchard, 2008, S. 3).

Die Wirkungen diskretionärer Stabilisierungsmaßnahmen auf das BIP hängen von drei Faktoren ab:

·          Sparquote der durch die Maßnahmen begünstigten Haushalte: Haushalte mit niedrigerem Einkommen weisen eine geringe Sparneigung auf, damit ist der Multiplikatoreffekt hoch. In einer tiefen Krise kann aufgrund der großen Unsicherheit die Sparneigung steigen, sodass vor allem die expansiven Wirkungen von Steuersenkungen sehr beschränkt sind.

·          Internationale Verflechtung der Volkswirtschaft: Bei hoher Importneigung wird ein signifikanter Teil der zusätzlichen Nachfrage im Ausland wirksam. Im europäischen Kontext weist dies auf die große Bedeutung supranationaler Koordination von fiskalpolitischen Maßnahmen hin.

·          Verhalten der Zentralbank: Bei akkommodierender Geldpolitik mit niedrigen Zinssätzen ist ein stärkerer expansiver Effekt zu erwarten. Die Niedrigzinspolitik und die Ausweitung der Liquidität durch die Notenbanken stützten die Wirkung von Konjunkturprogrammen in der Finanzmarktkrise merklich.

Die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen von Konjunkturpakete variieren auch nach dem Maßnahmentyp. Die stärksten Effekte entstehen durch direkte Ausgaben wie etwa öffentliche Investitionen, dabei sind jedoch Wirkungsverzögerungen zu beachten. Geringer sind die Wirkungen von Steuersenkungen und Transfererhöhungen, weil sie zunächst nur das verfügbare Einkommen und nur indirekt die gesamtwirtschaftliche Nachfrage steigern. Ein sehr wirkungsvolles Instrument ist die diskretionäre Sozialpolitik, die besonders krisenbetroffene Haushalte mit niedriger Sparquote begünstigt. Empirische Untersuchungen internationaler Organisationen bestätigen die theoretisch erwarteten Multiplikatorwirkungen der Konjunkturprogramme (Freedman et al., 2009, OECD, 2009B, Spilimbergo Symansky Schindler, 2009).

Für die Beschäftigungswirkung diskretionärer Stabilisierungspolitik ergeben sich ähnliche Multiplikatoren wie für die BIP-Effekte. Deutlich höher als die BIP-Effekte sind die Beschäftigungswirkungen direkter öffentlicher Beschäftigung und zielsicherer Subventionen an Unternehmen, etwa für Kurzarbeit. Im Zuge der Konjunkturprogramme weiteten die skandinavischen Länder die Beschäftigung in den öffentlichen Dienstleistungen aus. Kurzarbeit spielte in vielen Ländern eine wichtige Rolle: In Belgien etwa nahmen 2009 mehr als 5% der Beschäftigten an solchen Maßnahmen teil, in Italien und Deutschland 3%, in Österreich 1% (OECD, 2010).

Direkte Interventionen der Beschäftigungspolitik haben kurzfristig sehr positive Wirkungen; langfristig besteht die Gefahr, dass sie den Strukturwandel verzögern, indem gegebenenfalls Beschäftigung zu lange in Sektoren gehalten wird, die an Bedeutung verlieren. Gleichzeitig sehen beschäftigungspolitische Interventionen allerdings häufig Maßnahmen gegen drohende Qualifizierungsverluste vor und wirken so auch langfristig positiv. In der jüngsten Wirtschaftskrise wurden in vielen Ländern Trainings- und Qualifizierungsmaßnahmen verstärkt und die Stellenvermittlung intensiviert. Maßnahmen, die die individuelle Produktivität erhöhen, verbessern die Arbeitsmarktchancen; bei fehlender Nachfrage nach Arbeitskräften in der Krise sind die kurzfristigen Erfolge gering, mittelfristig hingegen können sie hoch sein. Besonders für Jugendliche sind Ausbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen bei schlechter Arbeitsmarktlage wichtig, weil sie hohe langfristige Erträge versprechen.

Diskretionäre sozialpolitische Maßnahmen in der Krise

2009 und 2010 wurden in der EU sozialpolitische Maßnahmen im weiteren Sinn im Umfang von 1,1% des BIP gesetzt. Besonders aktiv war die Politik in den skandinavischen Ländern, in Spanien, Deutschland und Österreich.

In der vorliegenden Analyse des sozialpolitischen Teils der Konjunkturpakete von EU-Ländern wird der Handlungsrahmen der Sozialpolitik breit definiert. Sozialpolitische Maßnahmen im weiteren Sinn sind demnach alle Maßnahmen, die das Einkommen und die Beschäftigungssituation der Bevölkerung bzw. bestimmter Bevölkerungsgruppen verbessern sollen. Wie die Schätzung der Effekte auf Wachstum und Beschäftigung[b]) zeigt, hat ein koordinierter Politikansatz innerhalb der EU merkliche Vorteile gegenüber einzelstaatlichen Initiativen.

Die meisten EU-Länder beschlossen Ende 2008 und Anfang 2009 diskretionäre konjunkturpolitische Maßnahmen, die im Laufe des Jahres 2009 wirksam wurden[c]). Dabei spielten häufig sozialpolitische Maßnahmen im weiteren Sinn eine wichtige Rolle (Übersicht 1). Im Euro-Raum wurden insgesamt diskretionäre expansive Maßnahmen im Umfang von knapp 2% des BIP von 2008 gesetzt. Auf die Sozialpolitik im weiteren Sinn entfielen davon 59%, das entspricht einem Volumen von etwa 100 Mrd. € (1,1% des BIP). Allerdings waren die Konjunkturpakete stark auf Abgabensenkungen zur Entlastung der privaten Haushalte ausgerichtet: Maßnahmen im Umfang von 0,78% des BIP betrafen Einnahmensenkungen, 0,32% des BIP wurden auf der Ausgabenseite wirksam. Lediglich Dänemark, Schweden, Belgien, Portugal und Spanien setzten ausgabenseitige Impulse von mehr als 0,5% des BIP. Zwei Drittel der gesamten sozialpolitischen Impulse im Euro-Raum machten die Maßnahmen in Deutschland und Spanien aus.

Diskretionäre sozialpolitische Maßnahmen waren in Deutschland die Erhöhung des Steuerfreibetrages sowie die Senkung des Eingangssteuersatzes in der Einkommensteuer und der Sozialversicherungsbeiträge. Die Transfers an private Haushalte und Unternehmen sowie die Konsumausgaben des Staates wurden ausgeweitet. Insgesamt umfassten diese Maßnahmen rund 39 Mrd. € (1,5% des BIP; OECD, 2009C). Die größte Bedeutung für die Stabilisierung der Beschäftigung und die Eindämmung der Arbeitslosigkeit hatte neben dem traditionell starken Kündigungsschutz die hohe interne Arbeitszeitflexibilität auf Branchen- und Unternehmensebene. In der Krise wurde die Arbeitszeit durch kollektivvertragliche Vereinbarungen, den Abbau von Mehrstunden auf Arbeitszeitkonten und den umfangreichen Einsatz von Kurzarbeit gesenkt (Herzog-Stein et al., 2010). Zum Höhepunkt im Frühjahr 2009 waren mehr als 1,5 Mio. Beschäftigte in Kurzarbeit, vor allem in der von der Rezession besonders betroffenen exportorientierten Industrie.

 

Übersicht 1: Diskretionäre Sozialpolitik in der EU

 

Maßnahmen insgesamt

Einnahmenseitige Maßnahmen

Ausgabenseitige Maßnahmen

Anteile am gesamten Stimuluspaket

2008

Mrd. €

In % des BIP

 

Euro-Raum

99,18

1,10

0,78

0,32

0,61

Belgien

5,29

1,53

1,03

0,50

0,96

Deutschland

39,07

1,57

1,24

0,33

0,53

Griechenland

1,04

0,43

0,00

0,43

0,69

Spanien

26,42

2,43

1,66

0,77

0,68

Frankreich

5,50

0,28

0,13

0,15

0,43

Italien

3,31

0,21

0,00

0,21

0,65

Niederlande

7,34

1,23

1,12

0,11

0,80

Österreich

4,54

1,61

1,35

0,26

0,90

Portugal

1,02

0,61

0,00

0,61

0,77

Slowakei

0,72

1,10

0,61

0,49

0,95

Finnland

4,93

2,68

2,39

0,29

0,84

Tschechien

2,98

2,14

2,01

0,14

0,66

Dänemark

3,98

1,71

0,68

1,02

0,67

Polen

1,18

0,40

0,31

0,09

0,22

Schweden

7,35

2,47

1,73

0,74

0,88

Großbritannien

12,34

0,76

0,59

0,17

0,45

 

Durchschnitt 16 Länder

 

1,10

0,78

0,32

0,59

Q: OECD (2009C).

 

In Relation zum BIP hatten auch die sozialpolitischen Maßnahmen zur Konjunkturstützung in den drei skandinavischen Ländern, in Belgien, den Niederlanden, Österreich, der Slowakei und Tschechien großes Gewicht. In Österreich fallen unter diese Kategorie die umfangreiche Senkung der Einkommensteuern 2009, die Ausweitung von Sozialtransfers (Familie, Pflege, Pensionen) im Herbst 2008 und die Förderung von Kurzarbeit. Die skandinavischen Länder weisen nicht nur aufgrund ihres hohen Staatsanteils ausgeprägte automatische Stabilisatoren auf, sondern ergriffen auch in der Krise umfangreiche diskretionäre Maßnahmen, die stärker als in anderen Ländern die Staatsausgabenseite betrafen. In Dänemark hatten private Haushalte in der Krise die Möglichkeit, Ersparnisse aus dem verpflichtenden privaten Zusatzpensionsschema zu entnehmen; eine Einkommensteuerreform entlastete vor allem Familien mit Kindern, zudem wurden die Mittel für aktive Arbeitsmarktpolitik mit steigender Arbeitslosigkeit (automatisch) erhöht.

Gesamtwirtschaftliche Effekte diskretionärer Sozialpolitik

Die expansive diskretionäre Sozialpolitik erhöhte das BIP im Euro-Raum 2009 und 2010 um 0,9%. Alle EU-Länder profitieren nicht nur von ihren eigenen Maßnahmen, sondern auch von den Aktivitäten der Handelspartner. Dies bestätigt die große Bedeutung eines koordinierten Vorgehens antizyklischer Budgetpolitik.

Das WIFO hat die Wirkung sozialpolitischer Maßnahmen im Rahmen der Konjunkturpakete der EU-Länder mit Hilfe des Oxford World Economic Model untersucht (Oxford Economic Forecasting, 2005). Dieses Weltmodell ermöglicht die Schätzung nicht nur der inländischen Effekte der Maßnahmen, sondern auch der expansiven Impulse, die sich aus der engen wirtschaftlichen Verflechtung innerhalb der EU ergeben[d]). Hier werden nur die Wirkungen der expansiven Maßnahmen während der Krise analysiert, nicht aber die restriktiven Maßnahmen zur Budgetkonsolidierung, die in Griechenland, Spanien, Portugal und Irland bereits im Jahr 2010 und in den meisten anderen EU-Ländern im Jahr 2011 wirksam wurden und zu einem erheblichen Teil im Bereich der Sozialpolitik greifen.

In den großen EU-Ländern waren vor allem die selbst gesetzten Maßnahmen wirksam (Übersicht 2). In Deutschland etwa steigerten die expansiven sozialpolitischen Maßnahmen das BIP schon im Jahr 2010 um 0,3%, bis 2012 betrug der Effekt gegenüber der Basislösung ohne expansive Sozialpolitik kumuliert +1,4%. Drei Viertel der Wirkung waren die Folge der eigenen Maßnahmen, zu einem Viertel profitierte die deutsche Wirtschaft von Maßnahmen der EU-Handelspartner. Der Einkommensmultiplikator der diskretionären sozialpolitischen Maßnahmen lag bei etwa 0,9. Diese Ergebnisse sind konsistent mit den Simulationen anderer Institute (Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose, 2010). In Spanien betrugen die Wohlstandsgewinne 1,8% des BIP, das impliziert einen Multiplikator von etwa 0,75.

 

Übersicht 2: Gesamtwirtschaftliche Wirkungen der diskretionären sozialpolitischen Maßnahmen

 

 

 

 

 

Einzelstaatlich

EU-koordiniert

Einzelstaatlich

EU-koordiniert

Einzelstaatlich

EU-koordiniert

Einzelstaatlich

EU-koordiniert

EU-koordiniert

2010

2011

2012

2012 kumuliert

In % des BIP

Multiplikator

 

Euro-Raum

+0,20

+0,30

+0,40

+0,90

+0,84

Deutschland

+0,30

+0,30

+0,40

+0,50

+0,40

+0,60

+1,10

+1,40

+0,89

Irland

+0,10

+0,20

+0,40

+0,70

Griechenland

+0,10

+0,10

+0,00

+0,10

+0,00

+0,10

+0,10

+0,30

+0,69

Spanien

+0,30

+0,40

+0,50

+0,60

+0,70

+0,80

+1,50

+1,80

+0,74

Frankreich

+0,00

+0,00

+0,00

+0,10

+0,00

+0,10

+0,00

+0,20

+0,71

Italien

+0,00

+0,10

+0,00

+0,10

+0,00

+0,10

+0,00

+0,30

+1,43

Niederlande

+0,10

+0,30

+0,30

+0,50

+0,30

+0,60

+0,70

+1,40

+1,14

Österreich

+0,30

+0,40

+0,30

+0,50

+0,40

+0,60

+1,00

+1,50

+0,93

Portugal

+0,10

+0,20

+0,20

+0,30

+0,10

+0,40

+0,40

+0,90

+1,46

Slowakei

+0,00

+0,10

+0,00

+0,10

+0,00

+0,20

+0,00

+0,40

+0,36

Finnland

+0,70

+0,90

+0,60

+0,90

+0,70

+1,20

+2,00

+3,00

+1,12

Bulgarien

+0,00

+0,00

+0,10

+0,10

Tschechien

+0,10

+0,20

+0,20

+0,60

+0,10

+0,30

+0,40

+1,10

+0,51

Dänemark

+0,50

+0,50

+0,60

+0,70

+0,60

+0,90

+1,70

+2,10

+1,23

Ungarn

+0,20

+0,50

+0,20

+0,90

Polen

+0,00

+0,10

+0,00

+0,20

+0,10

+0,20

+0,10

+0,50

+1,24

Rumänien

+0,00

+0,00

+0,00

+0,00

Schweden

+0,20

+0,30

+0,50

+0,70

+0,70

+1,00

+1,40

+2,00

+0,81

Großbritannien

+0,00

+0,10

+0,10

+0,20

+0,20

+0,30

+0,30

+0,60

+0,79

Q: Oxford Economic Forecasting, WIFO-Berechnungen.

 

Einige kleinere Länder setzten umfangreiche eigene Maßnahmen, sie profitierten aber als offene Volkswirtschaften in erheblichem Ausmaß von den Konjunkturpaketen der Nachbarländer. So wird das BIP in Finnland 2012 aufgrund der expansiven Sozialpolitik um 3% höher sein als im Basisszenario; ein Drittel des Effekts entfällt dabei auf Maßnahmen anderer Länder, ähnlich in Schweden und Dänemark. In Österreich erhöhen sozialpolitische Konjunkturmaßnahmen das BIP im Jahr 2012 um 1,5%, zu einem Drittel aufgrund von Aktivitäten der Handelspartner; der Multiplikator beträgt etwa 0,9. Vergleichbare Simulationen mit dem WIFO-Makromodell liefern ähnliche Ergebnisse (Breuss Kaniovski Schratzenstaller, 2009).

Einige EU-Länder setzten in der Krise kaum diskretionäre Maßnahmen. Sie profitieren dennoch von den expansiven Maßnahmen ihrer Handelspartner. Das gilt für Frankreich und Italien, aber auch Irland oder Ungarn. Für den gesamten Euro-Raum betragen die kumulierten Wachstumseffekte diskretionärer Sozialpolitik im Jahr 2012 0,9%.

Sozialpolitische Maßnahmen erhöhen das verfügbare Einkommen der privaten Haushalte. Sie wirken deshalb über einen Anstieg der Konsumnachfrage auf das BIP. In einigen Ländern unterstützten die Konjunkturpakete die Binnennachfrage in erheblichem Ausmaß (Übersicht 3). Im Durchschnitt des Euro-Raumes wird die Konsumnachfrage der privaten Haushalte im Jahr 2012 um 0,6% höher sein als ohne die sozialpolitischen Maßnahmen. In den skandinavischen Ländern beträgt der Anstieg 2½% bis 3%, in Österreich 1,7%.

 

Übersicht 3: Konsumeffekte der diskretionären sozialpolitischen Maßnahmen

 

 

 

 

Einzelstaatlich

EU-koordiniert

Einzelstaatlich

EU-koordiniert

Einzelstaatlich

EU-koordiniert

2010

2011

2012

Veränderung der Konsumausgaben der privaten Haushalte in % gegenüber der Basislösung ohne expansive Sozialpolitik

 

Euro-Raum

+0,40

+0,50

+0,60

Belgien

+1,20

+1,20

+1,30

+1,40

+1,30

+1,40

Deutschland

+0,60

+0,70

+0,80

+0,80

+0,70

+0,80

Irland

+0,00

+0,10

+0,10

Griechenland

+0,10

+0,10

+0,00

+0,10

+0,00

+0,10

Spanien

+0,70

+0,80

+1,40

+1,40

+1,70

+1,80

Frankreich

+0,00

+0,00

0,10

0,10

0,10

0,10

Italien

+0,00

+0,00

+0,00

+0,00

+0,00

+0,00

Niederlande

+0,40

+0,40

+0,70

+0,80

+0,90

+1,10

Österreich

+1,00

+1,10

+1,40

+1,50

+1,60

+1,70

Portugal

+0,30

+0,40

+0,50

+0,60

+0,50

+0,60

Slowakei

+0,00

+0,00

+0,00

+0,00

+0,00

+0,10

Finnland

+1,40

+1,70

+2,00

+2,60

+2,20

+2,90

Bulgarien

+0,00

+0,00

+0,00

Tschechien

+0,40

+0,40

+0,50

+0,80

+0,10

+0,40

Dänemark

+1,20

+1,10

+2,00

+2,00

+2,20

+2,40

Ungarn

+0,00

+0,40

+0,40

Polen

+0,00

+0,00

+0,10

+0,20

+0,10

+0,30

Rumänien

+0,00

0,10

0,20

Schweden

+0,70

+0,70

+1,50

+1,70

+2,20

+2,70

Großbritannien

+0,10

+0,10

+0,20

+0,20

+0,30

+0,40

Q: Oxford Economic Forecasting, WIFO-Berechnungen.

 

Beschäftigungseffekte diskretionärer Sozialpolitik

Maßnahmen der diskretionären Sozialpolitik schufen oder sicherten in der jüngsten Wirtschaftskrise etwa 330.000 Arbeitsplätze.

Die expansiven Wirkungen der sozialpolitischen Komponente von Konjunkturpaketen auf das BIP ziehen auch merkliche Beschäftigungseffekte nach sich (Übersicht 4). Die Schätzung mit dem makroökonomischen Modell berücksichtigt dabei nur die durch den Anstieg des BIP induzierten Beschäftigungseffekte. Die Wirkung besonders effizienter beschäftigungspolitischer Maßnahmen wie der Ausweitung der Stellen in den öffentlichen Dienstleistungen oder der Arbeitszeitverkürzung etwa durch die Förderung von Kurzarbeit wird damit nicht vollständig erfasst.

Sozialpolitische Maßnahmen schufen in der EU im Jahr 2010 112.000 zusätzliche Arbeitsplätze, bis 2012 erhöht sich dieser Wert auf etwa 330.000. Die einzelstaatlichen sozialpolitischen Maßnahmen generieren dabei in den jeweiligen Ländern selbst Beschäftigungseffekte von insgesamt 190.000 zusätzlichen Stellen, 140.000 zusätzliche Arbeitsplätze ergeben sich aufgrund der Maßnahmen der EU-Handelspartner.

In Relation zu den eingesetzten Mitteln sind die Beschäftigungsgewinne allerdings gering. Dies hat mehrere Gründe: Erstens bestehen in einer Rezession in den Unternehmen hohe Produktivitätspolster, zusätzliche Beschäftigung entsteht also mit erheblicher Verzögerung. Zweitens ist die Unsicherheit in einer tiefen Wirtschaftskrise besonders ausgeprägt, die Nachfrage nach dauerhaften Konsumgütern oder Investitionsgütern deshalb besonders niedrig. Drittens war der Anteil von Abgabensenkungen an den gesamten Maßnahmen besonders hoch. Steuersenkungen weisen wegen der relativ hohen marginalen Sparneigung der Begünstigten (die in der Krise sogar noch gestiegen ist) geringe Nachfragewirksamkeit und verhaltene Beschäftigungswirkungen auf.

Übersicht 4: Beschäftigungsausweitung aufgrund der diskretionären sozialpolitischen Maßnahmen

 

Einzelstaatlich

EU-koordiniert

Einzelstaatlich

EU-koordiniert

Einzelstaatlich

EU-koordiniert

2010

2011

2012

In 1.000

 

Euro-Raum

+85.251

+152.298

+218.604

Belgien

+3.399

+4.240

+4.132

+6.355

+4.844

+8.912

Deutschland

+21.410

+27.060

+47.550

+67.000

+59.790

+91.950

Irland

+0

+783

±0

+1.451

±0

+2.649

Griechenland

+1.560

+2.199

+687

+2.216

±0

+2.853

Spanien

+20.910

+24.980

+29.380

+34.250

+43.480

+52.440

Frankreich

869

+2.070

1.489

+3.970

1.959

+5.910

Italien

+870

+4.620

+1.300

+7.950

+1.470

+13.060

Niederlande

+1.451

+2.637

+4.323

+8.008

+6.102

+11.770

Österreich

+4.432

+5.287

+4.475

+6.158

+5.565

+8.069

Portugal

+2.694

+3.630

+4.047

+7.070

+4.580

+9.757

Slowakei

±0

+443

±0

+939

±0

+1.295

Finnland

+5.307

+7.302

+4.847

+6.931

+6.117

+9.939

Bulgarien

±0

+191

±0

+381

±0

+308

Tschechien

+1.653

+3.074

+2.945

+9.235

+2.330

+4.549

Dänemark

+4.581

+5.012

+6.121

+7.690

+7.738

+10.975

Ungarn

+0

+1.461

±0

+6.406

±0

+2.303

Polen

+1.230

+3.480

+2.830

+14.260

+4.660

+17.610

Rumänien

±0

+646

±0

+603

±0

2.215

Schweden

+3.724

+5.372

+9.150

+13.424

+15.826

+23.264

Großbritannien

+3.849

+7.560

+17.100

+32.730

+30.260

+54.990

 

Insgesamt

+76.201

+112.047

+137.398

+237.027

+190.803

+330.388

Q: Oxford Economic Forecasting, WIFO-Berechnungen.

 

Diskretionäre Sozialpolitik und Unsicherheit

Das Sozialsystem trägt wesentlich zur Stabilisierung der Erwartungen vor allem der privaten Haushalte bei. Diskretionäre sozialpolitische Maßnahmen können damit die Konsumnachfrage über den Konjunkturzyklus glätten und den für die Konjunktur bedenklichen Anstieg des Vorsichtssparens in der Rezession verhindern.

Das Sozialsystem wirkt über automatische Stabilisatoren und diskretionäre Maßnahmen konjunkturstabilisierend. Darüber hinaus trägt es dazu bei, die Unsicherheit auf individueller und gesamtgesellschaftlicher Ebene zu verringern. Diskretionäre sozialpolitische Maßnahmen in einer Krise federn Einkommensverluste ab. Dadurch werden die Erwartungen stabilisiert, die Sparneigung gedämpft und das Konsumverhalten geglättet.

Die gesamtwirtschaftlich positiven Effekte der Verringerung von Unsicherheit und der Stabilisierung der Erwartungen sind nicht direkt quantifizierbar. Allerdings gibt es Indikatoren, die für eine Schätzung dieser Wirkungen herangezogen werden können. Auf steigende Unsicherheit reagieren Haushalte in der Regel mit einer Ausweitung des Sparens ("Vorsichtssparen"). Der Sparanteil am verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte kann daher auch als Maß für die vorherrschende Unsicherheit interpretiert werden. In der aktuellen Krise nahm das Sparen in vielen EU-Ländern, aber auch in den USA zu. Der Anstieg der Sparquote war hauptsächlich auf zwei Faktoren zurückzuführen: auf den markanten Anstieg der Arbeitslosigkeit und die Probleme auf dem Häuser- und Wohnungsmarkt einiger Länder. Der Internationale Währungsfonds ermittelte für schwere Finanzmarktkrisen der Vergangenheit einen durchschnittlichen Anstieg der Sparquote um 5 Prozentpunkte innerhalb von zwei Jahren (IMF, 2009A, 2009B).

Dieses Vorsichtssparen konnte in Deutschland und Österreich in der aktuellen Krise begrenzt werden. Der starke Einbruch des Welthandels traf beide Länder wegen der Exportorientierung ihrer Wirtschaft empfindlich. Dennoch veränderte sich das Sparverhalten nicht markant: Zwischen 2007 und 2010 stieg der Sparanteil am verfügbaren Einkommen in Deutschland lediglich von 10,8% auf 11,5%, in Österreich sank er sogar von 11,6% auf 10,6%. Das Volumen diskretionärer sozialpolitischer Maßnahmen war in Deutschland relativ hoch; insbesondere die unmittelbar beschäftigungssicherende Kurzarbeit dämpfte zusammen mit anderen Maßnahmen zur Arbeitszeitverkürzung den Beschäftigungsrückgang während der Krise erheblich. Dies könnte wesentlich zur Vermeidung des Anstiegs der Arbeitslosigkeit und damit von krisenbedingter Unsicherheit beigetragen und die Erwartungen der privaten Haushalte stabilisiert haben.

Für die Analyse der gesamtwirtschaftlichen Effekte dieses schwachen Anstiegs der Sparquote in Deutschland wird die Zunahme des Sparanteils am verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte einerseits dem aktuellen EU-Durchschnitt gleichgesetzt (Szenario 1), andererseits dem vom IWF ermittelten langfristigen Durchschnitt (Szenario 2)[e]). Demnach dämpft ein Anstieg der Sparquote die Konsumnachfrage markant (Szenario 1 3%, Szenario 2 5½%). Die Folge sind erhebliche BIP-Wachstumseinbußen (2011 0,9% bis 1,6% gegenüber der Basislösung ohne Ausweitung des Sparens) und eine beträchtliche Zunahme der Arbeitslosigkeit (+100.000 bis +180.000). Diese Resultate belegen die große Bedeutung der sozialen Sicherungssysteme und innovativer sozialpolitischer Maßnahmen für die Gesamtwirtschaft.

 

Übersicht 5: Auswirkungen von erhöhter Unsicherheit und Vorsichtssparen in Deutschland

 

EU-Durchschnittsszenario

IWF-Szenario

EU-Durchschnittsszenario

IWF-Szenario

2010

2011

 

BIP          in %

0,6

1,1

0,9

1,6

Konsum  in %

2,1

4,0

2,9

5,5

Arbeitslosigkeit     in 1.000

+44,5

+80,3

+105,0

+179,4

Q: Oxford Economic Forecasting, WIFO-Berechnungen.

 

Reformbedarf bezüglich des Einsatzes diskretionärer Sozialpolitik

Diskretionäre Sozialpolitik könnte in stärkerem Ausmaß automatisiert werden, zudem sollte sie besonders Haushalte mit hoher Konsumneigung begünstigen und die Beschäftigung direkt stabilisieren.

Ein besonderes Problem diskretionärer fiskalpolitischer Maßnahmen ist ihre verzögerte Wirkung. Dies hat sich auch in der jüngsten Rezession gezeigt: Ab dem Frühjahr 2008 sank das reale BIP, und die Arbeitslosigkeit stieg, doch wurden erst gegen Jahresende 2008 Maßnahmen der diskretionären Gegensteuerung politisch beschlossen, die ab Anfang 2009 schrittweise umgesetzt wurden und ihre volle Wirkung erst gegen Ende 2009 entfalteten. Umgekehrt ist es auch von Bedeutung, dass Konjunkturbelebungsmaßnahmen nach einer adäquaten Dauer wieder auslaufen, um nicht den Strukturwandel zu hemmen. Der Internationale Währungsfonds schlägt deshalb vor, diskretionäre Stabilisierungsmaßnahmen zu automatisieren (Blanchard Dell'Ariccia Mauro, 2010). So könnte die Mittelvergabe in bestimmten Bereichen an die Entwicklung von relevanten ökonomischen Indikatoren gebunden werden. In Dänemark berücksichtigt die aktive Arbeitsmarktpolitik dies bereits: Steigt die Arbeitslosenquote, so werden die Mittel für Trainings- und Qualifizierungsmaßnahmen automatisch aufgestockt. Eine ähnliche Vorgangsweise wäre für die Anpassung der Höhe und Bezugsdauer von Arbeitslosengeld oder in der Mindestsicherung denkbar.

Verschiedene Politikinstrumente weisen sehr unterschiedliche Wachstums- und Beschäftigungswirkungen auf. Im Rahmen der Konjunkturpakete der EU-Länder entfällt der überwiegende Teil auf Steuersenkungen. Deren Nachfrage- und Beschäftigungswirkungen sind vor allem in einer Phase von Unsicherheit relativ gering. Zielgerichtete Maßnahmen, die direkt private Haushalte mit hoher Konsumneigung begünstigen oder mittels Förderungen die Beschäftigung in Krisenbranchen aufrechterhalten, sind besonders wirksam.

Der Sozialstaat entfaltet antizyklische Wirkung, indem er die Erwartungen der privaten Haushalte stabilisiert und in einer Rezession das Entstehen von Vorsichtssparen verhindert. Die privaten Haushalte vertrauen auf die soziale Absicherungsfunktion des Sozialsystems und erhöhen in der Krise ihre Sparneigung nicht. Diese Erwartungsstabilisierung ist empirisch schwierig zu quantifizieren, dürfte in ihrer Wachstums- und Beschäftigungswirkung aber mit jener der implementierten diskretionären Maßnahmen vergleichbar sein.

In der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise war erneut das Ausmaß diskretionärer budget- und besonders sozialpolitischer Eingriffe vor allem in jenen Ländern hoch, in denen auch die automatischen Stabilisatoren in den öffentlichen Haushalten stark reagieren. Das sind gleichzeitig jene Länder, die traditionell eine offene, außenhandelsorientierte Wirtschaftsstruktur aufweisen und deshalb ein umfassendes soziales Sicherungssystem aufgebaut haben.

Literaturhinweise

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The Stabilising Effect of Social Policies in the Financial Crisis Summary

Social policy measures and the social security systems in the EU stabilised GDP and employment noticeably during the recent financial and economic crisis. In terms of their size automatic stabilisers were particularly important. Discretionary social policy measures aiming at the stabilisation of the economy had positive but modest effects. The welfare state's stabilising influence on expectations, though difficult to quantify, is also assumed to have played an important role.

The major advantage of automatic stabilisers consists in their immediate effectiveness. Among social expenditures unemployment benefits are the most important component. Pensions and health care expenditures also work as automatic stabilisers. The stabilisation effect of the tax system increases with its progressivity. Within the EU the welfare states differ widely with respect to their automatic stabilisation effects: the latter are particularly strong in Denmark, followed by Belgium, Germany, Sweden and Austria. In Southern and Eastern Europe, by contrast, they are relatively weak.

Discretionary social policy measures in the EU amounted to about 1.1 percent of GDP both in 2009 and 2010. They largely consisted of tax reductions for private households. Only Denmark, Sweden, Belgium, Portugal and Spain implemented discretionary social policy measures exceeding 0.5 percent of GDP on the expenditure side of the budget. These measures raised the GDP both of the respective countries and of their trade partners. In Austria, GDP increased by about 1 percent owing to domestic discretionary policy measures. This is complemented by an effect equivalent to 0.5 percent of GDP caused by the discretionary social policies of other EU countries. For the euro area an increase of GDP by 0.9 percent is derived from model estimations. Discretionary social policy measures to support demand helped to create 330,000 jobs in the EU. However, the impact of particularly effective employment policy measures such as the reduction of working hours by introducing short-time working schemes, is not fully reflected in the model simulations. In Germany alone more than 1.5 million employees were in short-time working schemes at their peak in spring 2009.

The positive effects of discretionary social policies would be larger, if the coordination between EU member countries were improved and policy makers focused more on a temporary increase of transfers to households with a high propensity to consume as well as direct employment promotion.

Discretionary social policies could partly be made automatic by linking particular expenditures to the evolution of relevant economic indicators. Here, Denmark, where funds for training and qualification measures are automatically increased in case of a rising unemployment rate, serves as an example.

The welfare state also produces anti-cyclical effects by stabilising private households' expectations. Empirically these expansionary effects are difficult to quantify. Indeed, they are likely to be similar in size to those of the discretionary measures that were implemented during the recent crisis.

 

 

 



[a])  Neben der Ersatzrate unmittelbar zu Beginn der Arbeitslosigkeit spielt auch die Frage der Absicherung im Falle von langfristiger Arbeitslosigkeit eine Rolle, also die Ersatzrate bei Langzeitarbeitslosigkeit. Diesbezüglich schneidet Österreich im europäischen Vergleich gut ab (Eichhorst et al., 2010).

[b])  Die Analyse umfasst auch Maßnahmen, die schon vor der jüngsten Wirtschaftskrise und vielleicht vor einem anderen Hintergrund geplant waren, aber in der Krise schlagend wurden (wie z. B. die Steuerreform in Österreich).

[c])  In Großbritannien und Spanien war die Fiskalpolitik angesichts des Einbruchs im Immobiliensektor bereits 2008 expansiv. 

[d])  Die fiskalpolitischen Impulse wurden quartalsweise im Modell implementiert. Eine Milliarde an zusätzlichen Transfers im Jahr 2009 wurde als je 250 Mio. zusätzlichen Staatskonsums pro Quartal verbucht. Die Konjunkturpakete werden im Rahmen der vorliegenden Simulationen vollständig erst Ende des Jahres 2010 wirksam. Die expansiven Effekte entfalten sich zeitverzögert ab 2010 und erreichen ihren Höhepunkt erst 2012. Die quartalsweise Implementierung wurde gewählt, um die Komplexität der Analyse zu beschränken. Im Rahmen der Simulationen mit dem Oxford World Economic Model wurde eine akkommodierende Geldpolitik angenommen.

[e])  Der Anstieg wird im Modell schrittweise pro Quartal in den Jahren 2008 und 2009 implementiert, 2010 und 2011 verharrt die Sparquote auf dem höheren Niveau.