Angelina Keil
Wirtschaftschronik
IV. Quartal 2002
Abgeschlossen am 31. Dezember 2002. • E-Mail-Adresse: Angelina.Keil@wifo.ac.at
INHALT
[1] Die
Staats- und Regierungschefs der EU-Länder beschließen anlässlich des Gipfeltreffens
in Kopenhagen die Erweiterung der EU um Estland, Lettland, Litauen, Malta,
Polen, der Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn und Zypern mit 1. Mai
2004. Erstmals im Jahr 2002 senken die Notenbank der USA und die Europäische
Zentralbank die Zinssätze um 50 Basispunkte.
Vertrag von Nizza
[2] 19. Oktober: Nachdem die irische Bevölkerung in
einer ersten Abstimmung den Vertrag von Nizza (Institutionenreform in Hinblick
auf die EU-Erweiterung, http://europa.
eu.int/comm/nice_treaty/index_de.htm) abgelehnt hat, wird er im Juni 2001 in einem
zweiten Referendum von fast 63% der Wahlberechtigten bestätigt.
UNO-Klimakonferenz
[3] 23. Oktober-1. November: Die Klimakonferenz der UNO findet
in Delhi statt. In der Deklaration "Climate Change and Sustainable
Development" wird neuerlich der Nachhaltigkeitsgedanke der Umsetzung des
Klimaprotokolls von Kyoto betont.
EU-Erweiterung
[4] 24.-25. Oktober: Zu den finanziellen Fragen der EU-Erweiterung
findet in Brüssel ein Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der EU-Länder
statt. Die Landwirte in den neuen Mitgliedstaaten werden in den Jahren 2004 bis
2007 nach dem Prinzip des "Phasing in" 25%, 30%, 35% bzw. 40% des in
den bisherigen EU-Staaten üblichen Niveaus an landwirtschaftlichen
Direktzahlungen erhalten. Danach erfolgt eine jährliche Anhebung um 10%, sodass
2013 100% erreicht werden. Für die Jahre 2004/2006 sind für die
Kandidatenländer insgesamt 9,6 Mrd. € (zu Preisen von 1999) an Agrarsubventionen
vorgesehen, davon 2,6 Mrd. € an Direktzahlungen. Ab 2006 darf der
Höchstbetrag von 45,3 Mrd. € (zu Preisen von 2006) für alle
25 Mitgliedstaaten nicht überschritten werden, um die Kosten zu
stabilisieren. So wird in der Phase 2007/2013 die jährliche Erhöhung der
Zahlungen an die neuen Mitgliedsländer zulasten der bisherigen EU-Länder gehen.
Für die Struktur- und Kohäsionsfonds ist für die Periode 2004/2006 eine
Obergrenze von 23 Mrd. € an erweiterungsbedingten Mitteln für die
zehn Beitrittskandidaten vorgesehen. Bis zum Beitritt erhalten die
Kandidatenländer "Vorbeitrittshilfen". Weiters sind pauschale
degressive Zahlungen vorgesehen, da die neuen Mitgliedsländer von Beginn ihrer
Mitgliedschaft an Zahlungen an die Union leisten, die Subventionen aber erst
anlaufen werden und sie nicht schlechter gestellt werden sollen als 2003.
Asean-Gipfel
[5] 4.-5. November: In Phnom Penh findet der 8. Asean-Gipfel
statt. Durch die Umsetzung des aus diesem Anlass unterzeichneten Freihandelsvertrags
zwischen den Asean-Staaten und China wird in den nächsten zehn Jahren die
weltgrößte Freihandelszone mit 1,7 Mrd. Verbrauchern entstehen.
Defizitverfahren: Portugal
[6] 5. November: Portugal hat 2001 ein Defizit von
4,1% des BIP ausgewiesen und somit den in der Währungsunion fixierten
Referenzwert von 3% überschritten[a]). Erstmals entscheidet vor diesem Hintergrund
der Ecofin-Rat, dass in einem EU-Land ein übermäßiges Defizit vorliegt, und
leitet ein entsprechendes Verfahren laut Art. 104 EGV ein (http://europa.eu.int/abc/obj/treaties/de/detoc05.htm). Die portugiesische Regierung wird
aufgefordert, bis zum Jahresende 2002 ein überarbeitetes Stabilitätsprogramm
vorzulegen, durch das das Defizit auf 2,8% des BIP gesenkt wird.
Leitzinsen USA
[7] 6. November: Die Notenbank der USA senkt die
Leitzinssätze um 50 Basispunkte. Die Federal Funds Rate liegt nun bei
1,25% und der Diskontsatz bei 0,75%.
Termin für EU-Erweiterung
[8] 18. November: Der allgemeine Rat der
Außenminister der EU-Länder legt den Beitrittstermin für Estland, Lettland,
Litauen, Malta, Polen, die Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn und Zypern
mit 1. Mai 2004 fest.
Defizitverfahren: Deutschland
[9] 19. November: Auch Deutschland überschreitet 2002
das Maastricht-relevante Defizit der öffentlichen Haushalte mit einer
Neuverschuldung von 3,8% des BIP, und die Europäische Kommission leitet das
"Verfahren wegen übermäßigen Defizits" ein. Für 2002 und 2003
errechnet die Kommission für Frankreich eine Neuverschuldung von 2,7% bzw.
2,9%. In einem Frühwarnverfahren ("blauer Brief") wird Frankreich
darauf hingewiesen, dass sich der Saldo des Staatshaushalts der 3%-Grenze
nähert.
Venezuela
[10] Dezember: Ein Generalstreik, mit dem die
Opposition den zivilen Widerstand gegen Präsident Chávez demonstriert, legt die
Wirtschaft Venezuelas lahm. Vor allem die Bestreikung des staatlichen
Erdölkonzern "Petróleos de Venezuela" verursacht enorme
Einnahmenausfälle und einen Preisanstieg auf den Rohölmärkten.
EZB: Zinssatzsenkung
[11] 6. Dezember: Erstmals in diesem Jahr senkt die
Europäische Zentralbank die Zinssätze um 50 Basispunkte. Der Satz der
Einlagenfazilität beträgt nun 1,75%, der Mindestbietungssatz für die
Hauptrefinanzierungsgeschäfte des Eurosystems 2,75% und jener der
Spitzenrefinanzierungsfazilität 3,75%.
Nobelpreis für Ökonomie
[12] 10. Dezember: Daniel Kahnemann und Vernon
L. Smith erhalten gemeinsam den Nobelpreis für Ökonomie. Kahnemann wird
für seine Arbeiten im Bereich der Integration der Psychologie etwa in die
Analyse von Entscheidungen unter Unsicherheit gewürdigt. Smith erhält die
Auszeichnung für seine laborartigen Experimente in der empirischen
Wirtschaftsforschung, im Besonderen für seine Studien zu alternativen Marktmechanismen.
EU-Gipfel von Kopenhagen
[13] 13.-14. Dezember: Anlässlich des Gipfels von
Kopenhagen werden die Verhandlungen über den EU-Beitritt mit den
Kandidatenländern abgeschlossen. Mit 1. Mai 2004 kommen zu den 15 EU-Staaten
10 weitere Länder: Estland, Lettland, Litauen, Polen, Malta, die Slowakei,
Slowenien, Tschechien, Ungarn und Zypern. Die Bevölkerung der Europäischen
Union erhöht sich dadurch um 45 Mio. auf 450 Mio. Der für die Erweiterung
ausgehandelte Finanzrahmen wird 40,8 Mrd. € betragen. Nach der Zustimmung
des Europäischen Parlaments wird im April 2003 unter griechischer Präsidentschaft
der Beitrittsvertrag in Athen unterzeichnet. Danach muss der Vertrag in allen
25 Ländern auf nationaler Ebene ratifiziert werden. Dem Beitritt am 1. Mai
2004 folgt die Wahl zum Europäischen Parlament im Juni 2004. Im Dezember 2004
wird die Kommission einen Bericht über die Situation in der Türkei vorlegen,
der die Grundlage für mögliche Beitrittsverhandlungen ab 2005 sein wird.
Bulgarien und Rumänien, die die Voraussetzungen für den EU-Beitritt laut Acquis
bisher noch nicht erfüllt haben, könnten ab 2007 aufgenommen werden.
Kyoto-Protokoll
[14] 16. Dezember: Als 99. Staat signiert Kanada
das Kyoto-Protokoll, das eine Reduktion der Treibhausgasemissionen vorsieht (http://www.wifo.ac.at/bibliothek/archiv/
E0017.pdf).
[15] Die
Nationalratswahlen und die Diskussionen über die Regierungsbildung stehen im
Mittelpunkt der innenpolitischen Themen. Die Pensionsreformkommission
erarbeitet Vorschläge zur nachhaltigen Sanierung der Altersversorgung; die
Voraussetzungen für die private Zusatzvorsorge werden gesetzlich festgelegt.
Gasmarktliberalisierung
[16] 1. Oktober: Das Bundesgesetz, mit dem das Gaswirtschaftsgesetz
und das Bundesgesetz über die Aufgaben der Regulierungsbehörden im
Elektrizitätsbereich und die Errichtung der Elektrizitäts-Control GmbH und der
Elektrizitäts-Control-Kommission geändert werden (GWG-Novelle 2002) tritt in
Kraft. Damit sind die Voraussetzungen für die völlige Liberalisierung des
österreichischen Gasmarktes geschaffen. Haushalts- und Gewerbekunden können nun
den Gaslieferanten frei wählen. Im Kleinkundensegment bietet in ganz Österreich
allerdings zunächst nur MyElectric an, ein Tochterunternehmen der Salzburg AG,
an dem sich die deutsche Ruhrgas beteiligen will. Für den Großkundenvertrieb
wollen sich OMV, Wiengas, EVN, Oberösterreichische Ferngas, Linz AG und Begas
unter dem Namen Econgas zusammenschließen.
Erste Bank: Prager Börse
[17] Als
erster westeuropäischer Titel an einer Börse der ehemaligen Oststaaten notiert
die Erste Bank an der Prager Börse.
Zusatzvorsorge
[18] 4. Oktober: Die Zusatzvorsorge, die
"dritte Säule" des Pensionssystems, wird im BGBl. I 155/2002
geregelt. Die Anbieter von Zusatzpensionsprodukten müssen 60% der veranlagten
Gelder in Aktien investieren, die in einem EWR-Land notieren, dessen
Marktkapitalisierung 30% des BIP nicht überschreitet (Griechenland, Portugal,
Österreich). Dadurch soll eine allgemeine Wirtschaftsförderung zum
"Ausgleich des volkswirtschaftlichen Nachteils eines unterentwickelten
Kapitalmarktes" entstehen. Gleichzeitig müssen die Anbieter eine
Kapitalgarantie für die Einzahlung und die staatliche Prämie abgeben, die nur
verfällt, wenn das eingezahlte Kapital vorzeitig entnommen wird. Dies ist nach
frühestens zehn Jahren möglich. Die Förderung der privaten Altersvorsorge
entsteht durch eine staatliche Prämie (2003 9,5%) bis zu einem Höchstbetrag der
jährlichen Einzahlung (2003 1.800 €), die Befreiung von der
Kapitalertragsteuer und eine Befreiung von der Einkommensteuer im Fall der Auszahlung
in Form einer Rente. Bei Einmalauszahlung frühestens nach dem 10. Jahr
muss die Hälfte der staatlichen Prämie zurückgezahlt und der Kapitalertrag mit
6% nachversteuert werden.
Kollektivvertragslöhne Metallarbeiter
[19] 1. November: Für die 210.000 Metallarbeiter und
Metallarbeiterinnen steigen die Ist-Löhne um 2,2% und die
kollektivvertraglichen Mindestlöhne um 2,3%. Die zusätzlich vereinbarte Einmalzahlung
von 110 € ist bis 31. März 2003 zu leisten. Gemäß einer
Verteilungsoption mit einer Bandbreite von 1,9% bis 2,5% der Lohn- und Gehaltssumme
können die Unternehmen im Rahmen einer Betriebsvereinbarung individuelle
Lohnerhöhungen gewähren. Für den Übertritt aus dem bisher gültigen in das neue
Abfertigungssystem wird für Arbeitnehmer ein einmonatiges Rücktrittsrecht vereinbart.
Libro-Übernahme
[20] 17. November: Nach dem Konkurs der Buchhandels-
und Medienkette Libro übernimmt die Firmengruppe um Josef Taus 192 der 216
Filialen.
Nationalratswahlen
[21] 24. November: Bei den Nationalratswahlen erzielen
die ÖVP 79 Mandate (42,30%), die SPÖ 69 (36,51%), die FPÖ 18 (10,01%) und
Die Grünen 17 Mandate (9,47%). Die Wahlbeteiligung liegt bei 84,27%
Pensionsreformkommission
[22] 12. Dezember: Die Pensionsreformkommission stellt
ihre Vorschläge vor. Sie umfassen eine Reform der Sicherung gegen das Risiko
der Invalidität und eine langfristige Stabilisierung der Alterssicherung sowie
eine Stärkung der eigenständigen Altersvorsorge (http://www.wifo.ac.at/bibliothek/archiv/Bericht_Pensionssystem/)
Fußballeuropameisterschaft
[23] 12. Dezember: Das UEFA-Exekutivkomitee
beschließt, die Fußballeuropameisterschaft 2008 in Österreich und der Schweiz
zu veranstalten.
[a]) Zum
Defizitverfahren siehe Breuss, F., "Die wirtschaftspolitische Architektur
der WWU", WIFO-Monatsberichte, 2002, 75(9), S. 581-607, http://titan.wsr.ac.at:8880/wifosite/wifosite.get_abstract_type?p_language=
1&pubid=22726.