Mit der raschen und weltweiten Ausbreitung des Coronavirus in den letzten Wochen steigt in immer mehr Ländern die Gefahr einer Überlastung des Gesundheitswesens. Viele Länder haben einschneidende Maßnahmen ergriffen, um das Tempo der Ausbreitung zu drosseln und vor allem die Gesundheit des medizinischen Personals zu schützen. Dies hat die Nachfrage nach medizinischer Schutzausrüstung in vielen Ländern drastisch erhöht und zu einem Mangel an nötiger Schutzkleidung, Handschuhen, Gesichtsschutzschildern und Schutzbrillen geführt.
Immer mehr Länder führen Exportbeschränkungen ein
Der Global Trade Alert (2020) der Universität St. Gallen identifizierte mit Stand vom 10. März 2020 insgesamt 24 Länder mit Exportbeschränkungen für medizinische Produkte. Dazu zählten anfangs auch Deutschland, Frankreich und Tschechien, als die wichtigsten Produzenten medizinischer Schutzausrüstung innerhalb der EU. Die damit verbundenen innereuropäischen Handelsbeschränkungen veranlassten die EU‑Kommission eine Durchführungsverordnung über die Einführung von Ausfuhrgenehmigungen beim Export medizinischer Schutzausrüstung zu erlassen. Diese ist am 15. März 2020 in Kraft getreten und wurde auf eine Zeit von sechs Wochen limitiert. Sie ist ein starkes Signal gegen Beschränkungen im innereuropäischen Handel und damit auch gegen die bisherigen nationalen Einzelschritte in diese Richtung, die seither von Deutschland und Frankreich wieder zurückgenommen wurden. Die Verordnung schreibt aber die Genehmigung zur Ausfuhr persönlicher Schutzausrüstung in Extra‑EU‑Länder vor (Durchführungsverordnung (EU) 2020/402). Zu den von der Verordnung abgedeckten Gütern zählen Gesichtsschutzschilder, Handschuhe, Schutzkleidung, Mund-Nase-Schutzausrüstungen, Schutzbrillen und Visiere. Die USA, China, Russland, aber ursprünglich auch europäische Länder wie die Schweiz und Norwegen zählen zu den wichtigsten Zielmärkten dieser Waren aus der EU und damit zu den am meisten betroffenen Ländern der EU‑Exportbeschränkung (Bown (2020) verweist auch auf die besondere Betroffenheit vieler Entwicklungs- und Schwellenländer, die auf EU‑Exporte medizinischer Schutzausrüstung angewiesen sind und durch die EU-Ausfuhrbeschränkungen den Zugang verlieren würden). Die EU‑Kommission hat aber bereits nachjustiert und entschieden, dass die EFTA-Länder Schweiz, Norwegen, Liechtenstein und Island von dieser Genehmigungspflicht ausgeschlossen werden (Durchführungsverordnung (EU) 2020/426). Allerdings verpflichteten sich diese Länder dazu, auch ihre Exporte so zu kontrollieren, dass der Bedarf innerhalb der EU weiter gewährleistet ist. Insgesamt beschränkt die Verordnung den Verkauf von medizinischen Gütern im Wert von 9,3 Mrd. oder rund 26% aller EU‑Exporte (Extra‑ und Intra-EU‑Exporte) der fünf von der EU‑Ausfuhrgenehmigung betroffenen medizinischen Schutzausrüstungen.
Unbeabsichtigte Nebeneffekte
Was auf den ersten Blick verständlich erscheint und auf Bedenken hinsichtlich Versorgungsknappheiten aufgrund von Exportbeschränkungen und Coronavirus-bedingten Produktionsausfällen wichtiger Lieferländer, Unterbrechungen von Lieferketten sowie mangelndem Vertrauen auf die Solidarität anderer Länder beruht, kann sich am Ende als schlechte Lösung entpuppen. Die Gefahr liegt in den unbeabsichtigten Effekten solcher Aktionen, die zu einem insgesamt schlechteren Ergebnis für alle Akteure führen. Die ersten Grenzen dieser Politik hat die EU bereits innerhalb der Gemeinschaft, aber auch in Bezug auf die europäischen Nachbarländer erfahren.
Aufgrund der eng verflochtenen Wertschöpfungsketten und Distributionsnetzwerke für medizinische und persönliche Schutzausrüstungen in Europa (und weltweit) trifft jede Exportbeschränkung eines Landes zum Schutz der eigenen Versorgung die Versorgungssicherheit in anderen Ländern und läuft Gefahr in einer Spirale von Exportbeschränkungen in immer mehr Ländern zu führen, ohne das Problem der Minderversorgung zu lösen. Auf die Parallelen der jetzigen Situation zu den Exportbeschränkungen von Nahrungsmitteln während der Rohstoffpreisspitzen von 2006/2008 hat bereits Sinabell (2020) verwiesen. Ein weiterer Aspekt kommt in der Corona‑Krise zu tragen: Exportbeschränkungen medizinischer Güter vermindern die Fähigkeit zur Eindämmung der Pandemie in anderen Ländern. Eine "Beggar‑thy‑neighbour"‑Politik, also eine Politik zu Lasten anderer Länder, wird so zu einer "Sick‑thy‑neighbour"‑Politik (Evenett, 2020), also zu einer Politik, die den Nachbarn krank macht. Sie verhindert, dass die nötigen medizinischen Schutzausrüstungen und Geräte dorthin gelangen, wo sie im Kampf gegen die nun weltweite Pandemie am meisten gebraucht werden. Der Virus ist eine globale Herausforderung, der man nur gemeinsam begegnen kann.
Exportbeschränkungen senden darüber hinaus ein falsches Signal an andere Länder und führen zu einer weiteren Erosion des gegenseitigen Vertrauens. Jede Handelsbeschränkung birgt die Gefahr von notwendigen Importen abgeschnitten zu werden, umso mehr, wenn sich Exportbeschränkungen auch auf Vorprodukte in der Produktion anderer wichtiger medizinischer Güter wie Beatmungsgeräte, Patientenmonitore, Röntgengeräte usw. beziehen. Eine Unterbrechung von Lieferketten kann unbeabsichtigt herbeigeführt werden, aber durchaus auch bewusst, denn jede Handelsbeschränkung birgt auch die Gefahr von Vergeltungsmaßnahmen, besonders in Zeiten bereits schwelender Handelskonflikte, wie auch jener zwischen der EU und den USA. Umfangreiche Lieferketten bei Medikamenten und medizinischer Ausrüstung machen so gut wie jedes Land anfällig für Vergeltungsmaßnahmen (Evenett, 2020). So ist die USA auch aus Sicht der EU ein wichtiger Lieferant medizinischer Produkte, nicht so sehr in Bezug auf die im Zentrum stehende Schutzausrüstung, sondern vor allem für andere wichtige medizinische Ausrüstungen (Beatmungsgeräte, Monitore, CT-Systeme).
Anfälligkeit für Exportbeschränkungen anderer Länder
Bown (2020) hat auf die Kurzsichtigkeit der EU‑Exportbeschränkungen aufgrund der Abhängigkeit der EU von der Einfuhr wichtiger
medizinischer Güter aus dem Extra‑EU‑Raum bereits hingewiesen und dargestellt. Abbildung 1 zeichnet diese
Daten für die EU nach den Ausnahmegenehmigungen für die EFTA-Länder sowie für Österreich nach. Ein Anteil von rund 40% der
EU‑Importe von Schutzausrüstungen, die gleichzeitig der Genehmigungspflicht bei Exporten unterliegen, stammen aus Extra‑EU‑EFTA‑Ländern.
Der entsprechende Anteil sonstiger wichtiger medizinischer Produkte zur Bekämpfung des Coronavirus liegt in der EU ebenfalls
bei 40%. Österreich exportierte im Jahr 2019 206 Mio. der fünf von der EU‑Ausfuhrgenehmigung betroffenen
medizinischen Schutzausrüstungen in den Extra‑EU‑EFTA‑Raum, importierte aber im gleichen Zug 232 Mio.
(oder rund 17%) dieser Produkte. Die österreichischen Importe anderer kritischer medizinischer Geräte aus Extra‑EU‑EFTA‑Ländern
beliefen sich auf 142 Mio. bzw. rund 25% der Gesamtimporte dieser Produkte. Die direkte Abhängigkeit Österreichs
von Extra‑EU‑EFTA‑Importen ist damit geringer als im EU‑Durchschnitt, allerdings sind indirekte Lieferungen
aus Extra‑EU‑EFTA‑Ländern über andere EU‑Länder, insbesondere über Deutschland als wichtiges Distributionszentrum,
ein bedeutender Teil der österreichischen Gesamtimporte. Somit ist auch Österreich anfällig für Exportbeschränkungen nichteuropäischer
Länder.