Qualifizierte Ausbildung bildet vor dem Lichte der Herausforderungen der Digitalisierung aktuell ein zentrales Element der
Arbeitsmarktstrategie. Die neuerdings vielfach diskutierte Polarisierungsthese stellt das in Frage: Die Digitalisierung erhöhe
die Nachfrage sowohl nach höheren wie auch nach niedrigen Qualifikationen; mittlere und vor allem Routine-intensive würden
hingegen zunehmend freigesetzt. Tatsächlich lassen sich solche Tendenzen zur Polarisierung in den USA feststellen: Der Anteil
hoher und niedriger Qualifikationen an der Beschäftigung nimmt dort zu und ihre Einkommen steigen überdurchschnittlich; mittlere
hingegen verlieren ihre Jobs und ihre Einkommen stagnieren oder sinken sogar.
In Europa lässt sich im Allgemeinen keine Expansion der niedrigen Qualifikationen beobachten, wohl aber eine gewisse Ausdünnung
der Mitte. In Österreich findet nicht einmal diese statt: Entgegen den Analysen der OECD zeigt sich ein klarer Trend zu höheren
Qualifikationen und innerhalb der Mitte eine Verschiebung von Routine- zu kognitiven Tätigkeiten; der Anteil der niedrigen
Qualifikationen schrumpft das heißt, dass niedrige Qualifikationen zur Mitte und mittlere nach oben aufsteigen. Das
Ausfransen der Mitte nach unten konnte in Österreich bisher verhindert werden; ganz im Gegenteil deutet die Zunahme anspruchsvoller
Tätigkeitsbereiche bei zugleich starker Zuwanderung weniger qualifizierter Arbeitskräfte auf eine markante Aufwärtsmobilität
der ÖsterreicherInnen.
Maßgebend dafür dürften fünf spezifische Elemente sein: Die Wirtschaftsstruktur, die auf weniger leicht automatisierbaren
Tätigkeiten beruht, die Heterogenität der kognitiven Routinetätigkeiten, eine stärker dezentrale Firmenorganisation mit größerer
Entscheidungsfreiheit am Arbeitsplatz, eine differenzierte fachspezifische (mittlere) Berufsausbildung, aber auch ein gewisser
Rückstand bei Restrukturierung, Automatisierung und Digitalisierung. Letzteres könnte bedeuten, dass in Zukunft doch Arbeitsplätze
mit mittleren Qualifikationen verloren gehen könnten.
Augenmerk auf selektive Qualifizierung legen
Die österreichische Wirtschaftspolitik wird daher nicht bloß weiterhin auf Höherqualifizierung (occupational upgrading)
drängen müssen, ein Thema das trotz der bisherigen Erfolge der berufsspezifischen Qualifizierungspolitik und trotz der eher
geringen (vielfach überschätzten) Gefahr massiver Arbeitsplatzverluste durch Digitalisierung auf der Agenda der Wirtschaftspolitik
bleiben muss. Es wird aber auch selektiver Qualifizierungsmaßnahmen bedürfen: So etwa zeigt der hohe Anteil der Überqualifikation
im Bereich gering-qualifizierter Tätigkeiten, dass ein Bedarf an Schulungen besteht, die die Nutzung der jeweils latenten
Qualifikationen ermöglicht. Soweit es sich um Immigranten handelt, wird nicht bloß eine Verbesserung der Sprachkenntnisse
(vor allem Berufs-spezifischer) sondern auch die Anpassung ihrer (im Ausland erworbenen) beruflichen Kenntnisse an die österreichischen
Standards erforderlich sein.
Weiters wird den manuellen Nicht-Routinetätigkeiten, die sich bisher recht gut gehalten haben, zumindest auf mittlere Sicht
mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden müssen. Der Nachholbedarf an Digitalisierung, Automatisierung und Rationalisierung, vor
allen in öffentlicher und betrieblicher Verwaltung wie im Dienstleistungsbereich (Bank- und Versicherungswesen) wird nicht
zuletzt diese Gruppe betreffen. Ihrer Umqualifizierung primär von manuellen zu kognitiven Tätigkeiten wird mehr
Beachtung geschenkt werden müssen.
Generell muss betont werden, dass die in Theorie wie Politik beliebte Polarisierungsthese als solche bloß Teilaspekte der
Entwicklung des Arbeitsmarkts erklären kann, und dass die Gefahr der Polarisierung durch Digitalisierung bloß eines der Probleme
der Arbeitsmarktpolitik ist. Mindestens genauso wichtig sind die Folgen der Automatisierung auf die Qualität der Arbeitsplätze
und die Verteilung.