Die Anatomie des aktuellen Antibiotikaengpasses

27.03.2023

Erste Studie des unter WIFO-Beteiligung gegründeten Supply Chain Intelligence Institute Austria (ASCII)

In einer neuen Studie untersucht ein Forschungsteam rund um den Direktor des Supply Chain Intelligence Institute Austria (ASCII) Peter Klimek (Complexity Science Hub) sowie ASCII-Vizedirektor Klaus Friesenbichler (WIFO) globale Liefernetzwerke von Antibiotika und entschlüsselt Ursachen für den derzeitigen Mangel.

"Die Marktstrukturen bei Antibiotika sind heute stark internationalisiert. Dies führt zu niedrigen Preisen, was wünschenswert ist. Leider erweist sich die Versorgungssicherheit immer wieder als Schwachpunkt. Es sollte über ein Marktdesign nachgedacht werden, bei dem die Gesundheitspolitik nicht eingreifen muss und trotzdem die Versorgungssicherheit gewährleistet ist", so Ökonom Friesenbichler (ASCII und WIFO).

Derzeit kommt es weltweit verstärkt zu Lieferengpässen von Antibiotika. Eine Studie des neu gegründeten Supply Chain Intelligence Institute Austria (ASCII) in Zusammenarbeit mit dem Complexity Science Hub entschlüsselt nun die Ursachen für den derzeitigen Mangel. Allen voran, die zunehmende Konzentration der Produktion auf zwei Länder – China und Indien. Investitionen in eine gut ausgebaute Dateninfrastruktur können Abhilfe verschaffen.

"Unsere Daten zeigen einen klaren Trend zu einer zunehmenden Konzentration der Produktion auf einige wenige Länder, nämlich China und Indien", erklärt Peter Klimek vom Supply Chain Intelligence Institute Austria (ASCII) und dem Complexity Science Hub. Ein Trend, der sich während der Pandemie noch weiter beschleunigt hat.

Diese Abhängigkeiten sind nicht bei direkten Importen erkennbar, treten allerdings deutlich zutage, je weiter man die Wertschöpfungskette zurückverfolgt. So sind Zwischenprodukte und pharmazeutische Wirkstoffe (API) stärker konzentriert als unverpackte und verpackte Produkte. 76% der Produktionsstätten für Zwischenprodukte und 59% der Hersteller von APIs befinden sich in China und Indien.

"Kommt es hier zu einem Engpass, sind auch mögliche Ersatzprodukte wahrscheinlicher von Engpässen betroffen", so Klimek. Die geschätzte Zahl der Engpässe, die durch Substitution behoben werden könnten, hat sich von 2018 bis 2020 halbiert.

Pandemie führte zu geringerem Bedarf

Die Maßnahmen zur Bekämpfung der SARS-CoV-2-Pandemie haben auch die Zirkulation anderer Erreger reduziert. Infolgedessen gingen sowohl die Nachfrage als auch der Verbrauch von Antibiotika in der Bevölkerung und in den Krankenhäusern während der Pandemie drastisch – um etwa 20% – zurück.

Als 2022 zahlreiche Länder die Maßnahmen zur Eindämmung von SARS-CoV-2 einstellten, stieg der Antibiotikaverbrauch dementsprechend an. In Kombination mit geografisch konzentrierten Produktionssystemen kam es in weiten Teilen der Welt zu einem Engpass.

Die Situation in Österreich

In Kundl in Österreich befindet sich eine der wenigen europäischen Produktionsstätten für Antibiotika. Trotzdem standen (laut österreichischem Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen, Stand: 9. März 2023) mehrere Produkte auf der Liste der in Österreich nicht erhältlichen Antibiotika.

"Unsere Daten zeigen, dass Österreich hinsichtlich der Lieferketten am engsten mit Spanien verbunden ist", so Klimek. Durch indirekte Abhängigkeiten befinde sich China aber direkt dahinter auf Platz zwei.

Was tun?

Um Arzneimittelknappheiten in Zukunft besser quantifizieren und vorhersagen zu können, bedarf es sowohl kurzfristiger als auch langfristiger Maßnahmen. "Mit am wichtigsten wird es sein, Investitionen in Daten-, Planungs- und Prognoseinfrastruktur zu tätigen, um den Bedarf an Antibiotika zu messen, zu kennen und prognostizieren zu können", erklärt Klimek. Dabei sollte der Fokus auf jenen Arzneimitteln liegen, für die Ersatzstoffe ebenfalls fehlen.

Außerdem müsse größerer Wert auf Versorgungssicherheit gelegt und entsprechende Maßnahmen ergriffen werden. Denn ein gut gestalteter Markt sollte das Risiko einer Störung internalisieren.

Marktanreize für die Entwicklung neuer Antibiotika zu schaffen, wird besonders wichtig sein, da Resistenzen gegenüber bestehenden Produkten zunehmen. Ein Ausbleiben von neu- und weiterentwickelten Antibiotika birgt daher ein Risiko für die Gesellschaft.

Die gesamte Studie ist hier abrufbar.

Neue Lieferkettenforschung

Complexity Science Hub Vienna (CSH Vienna), Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO), Logistikum der Fachhochschule Oberösterreich (FH OÖ) und Verein Netzwerk Logistik (VNL) haben das Supply Chain Intelligence Institute Austria (ASCII) gegründet, um komplexe und globale Liefernetzwerke zu verstehen. Gefördert wird das ASCII vom Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft sowie dem Land Oberösterreich.

Weite Informationen zur Gründung des ASCII finden Sie hier.

Rückfragen an

Mag. Dr. Klaus Friesenbichler

Forschungsgruppe: Industrie-, Innovations- und internationale Ökonomie
© Gavin Allanwood/Unsplash
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