Der private Konsum in Zeiten der Corona-Krise und danach

31.03.2020

Eine Szenarioabschätzung von WIFO-Ökonom Jürgen Bierbaumer-Polly

Der Angebotsschock durch die COVID-19-Maßnahmen lässt sich auch unmittelbar auf Seiten der privaten Haushalte abbilden und bringt einen kräftigen Nachfrageausfall mit sich. Um eine Größenordnung dieses Konsumnachfrageschocks herleiten zu können, wurde für Jänner bis Dezember ein detailliertes Konsumprofil erstellt. Demnach beträgt der Nachfrageschock beim Inländerkonsum insgesamt –5,5 Mrd. €, jener bei den ausländischen Gästen –2,9 Mrd. €.

Das Konsumprofil ermöglicht es, die Betroffenheit der unterschiedlichen Handels- und Dienstleistungsbranchen auf den Konsum zu projizieren und im Umkehrschluss den Nachfrageausfall zur Abschätzung der Wertschöpfungsentwicklung der betroffenen Branchen nutzbar zu machen.

Die ökonomischen Auswirkungen der bis dato getroffenen COVID-19-Maßnahmen ziehen sich durch alle Bereiche der heimischen Volkswirtschaft. Ursächlich handelt es sich um einen Angebotsschock, der primär die marktmäßigen Dienstleistungsbranchen (vor allem Handel, Verkehr, Tourismus, Unterhaltung und Freizeit, persönliche Dienstleistungen) betrifft. Durch den Angebotsschock sind auch unmittelbar die privaten Haushalte auf der Nachfrageseite betroffen, da die Maßnahmen Änderungen im Konsumverhalten notwendig machen. Dies trifft nicht nur auf die Dauer der notwendigen Maßnahmen zu, sondern auch auf die Monate danach.

Die Einschätzung der Auswirkungen auf die Konsumausgaben der heimischen Haushalte sowie auf die Ausgaben der ausländischen Gäste in Österreich im heurigen Jahr basiert auf folgender Systematik und Vorgehensweise:

  • Für die Haushalte stehen detaillierte, strukturelle Ausgabeninformationen auf Jahresbasis sowie quartalsweise nach der COICOP-Gliederung (Klassifikation der Verwendungszwecke des Individualverbrauchs) zur Verfügung.

  • Dieser Detailgrad in den Konsumdaten erlaubt es, für die einzelnen Ausgabepositionen gemäß des unterstellten Szenarios einen monatlichen Konsumpfad abzuschätzen bzw. festzulegen, der sich einerseits an dem zeitlichen Profil der festgelegten Maßnahmen orientiert, andererseits aber auch erwartbare "Nachholkonsumationen" für bestimmte Kategorien beinhaltet sowie auch die Phase der Normalisierung – sprich die Rückkehr zum gewohnten Konsummuster – berücksichtigt.

  • Das Konsumprofil stützt sich dabei auf folgendes Baseline-Szenario: sechswöchiger Shutdown bis Ende April, teilweises Öffnen der geschlossenen Geschäfte im Mai, wieder halbwegs "Normalbetrieb" ab Juni.

  • Aus dem Coronavirus-Konsumprofil lassen sich in einem weiteren Schritt Ausgabenvolumina ableiten, die einem Baseline-Konsumprofil gegenübergestellt werden. Das Baseline-Konsumprofil entspricht einem nominellen Konsumwachstum von +3,1% gegenüber 2019.

  • Die Abweichung gegenüber der Baseline stellt den Konsumnachfrageschock in Mrd. € dar.

  • Dieses Volumen kann auf der Produktionsseite den Handels- und Dienstleistungsbranchen als Umsatzveränderung zugeschrieben werden und daraus in weiterer Folge der durch die Konsumänderung induzierte Wertschöpfungsverlust bzw. -gewinn in den einzelnen Branchen geschätzt werden.

Baseline: Anteile, Größenordnungen, Gliederungen

Der private Konsum ist auf der Nachfrageseite die gewichtigste Komponente des BIP. Im Jahr 2019 betrug der nominelle private Konsum einschließlich privater Organisationen ohne Erwerbszweck (POoE) 205,8 Mrd. €; dies entspricht etwas mehr als der Hälfte des BIP. Der Konsumaufwand der österreichischen Bevölkerung? macht 91% aus, die verbleibenden 9% verteilen sich in ähnlicher Höhe auf die Konsumausgaben der in Österreich Ansässigen im Ausland und die POoE.

Der Angebotsschock trifft unterschiedliche Branchen unterschiedlich stark, vor allem Dienstleistungsbranchen sind hier besonders vom Shutdown betroffen, da mehr als die Hälfte der privaten Konsumausgaben in den Dienstleistungsbereich fließen. Rund ein Viertel wird für Dinge des täglichen Bedarfs und jeweils rund 10% für halbdauerhafte und dauerhafte Konsumgüter aufgewendet.

Festlegung eines Konsumprofils

Für jede COICOP-Viersteller Konsumausgabenposition (in Summe mehr als 100 Positionen) wird ein Ausgabenpfad für das Jahr 2020 auf Monatsbasis definiert. Zielgröße ist der "Inländerkonsum im Inland", d. h. der Konsum der in Österreich Ansässigen im Inland. Ein Faktor 1 bedeutet, dass die Ausgaben im jeweiligen Monat dem eines durchschnittlichen Monats (Jahreszwölftel) entsprechen, ein Faktor von 1,5 bedeutet einen 50% höheren Konsum und 0,1 einen Konsum, der um 90% unter dem Durchschnitt liegt. Diese Konsumpfade werden in weiterer Folge nach den Konsumgüterarten (nichtdauerhafte, halbdauerhafte und dauerhafte Konsumgüter sowie Dienstleistungen) aggregiert und die entsprechenden Konsumvolumina abgeleitet.

Die Monate Jänner und Februar sind als durchschnittliche Monate definiert, beginnend ab März sinkt der Konsum insgesamt, den stärksten Rückgang gibt es im April, und ab Juli ist der Konsumpfad bis Oktober größer 1; November und Dezember sind als durchschnittliche Monate definiert.

Die Darstellung nach Konsumgüterarten zeigt deutliche Unterschiede:

  • Bei den nichtdauerhaften Konsumgütern wird von einem starken Anstieg von März bis Mai ausgegangen. Dies ist aufgrund höherer Ausgaben für Nahrungsmittel, Getränke und Körperpflege begründet, da in diesem Bereich die Geschäfte weiterhin geöffnet haben. Der Mehrkonsum ist nur zu einem kleinen Teil den Hamsterkäufen der Konsumentinnen und Konsumenten geschuldet, vielmehr sind dies Mehrausgaben für Nahrungsmittel, um sich in dieser Phase sieben Tage die Woche zu Hause zu verpflegen, anstatt "auswärts" (z. B. in Restaurants, Gasthäusern, Betriebskantinen) Essen zu konsumieren. Über das Jahr gerechnet steigen die Konsumausgaben dieser Kategorie um 10%.

  • Bei den halbdauerhaften Konsumgütern wird im März und April ein starker Einbruch erwartet, vor allem im Bereich Bekleidung und Schuhe (Anteil von fast 60% an dieser Gruppe). Im Mai und Juni wird weiterhin eine Kaufzurückhaltung angenommen, in den Sommermonaten sollte es gewisse Nachziehkäufe geben. Insgesamt dürften die Konsumausgaben 10% unter dem Baseline-Szenario zu liegen kommen.

  • Bei den dauerhaften Konsumgütern wird unmittelbar eine etwas stärkere Kaufzurückhaltung angenommen, da Anschaffungen in diesem Bereich tendenziell größere Summen ausmachen und dies in Zeiten großer Unsicherheiten zusätzlich die Ausgabenbereitschaft hemmt. Außerdem lassen sich viele der Produkte (wie etwa neue Pkw oder Möbelstücke) nicht 1 : 1 über den reinen Onlinevertrieb (als mögliche Substitution zum stationären Handel) abwickeln. Es wird aber angenommen, dass es im Herbst 2020 eine längere Phase von stärkeren Nachziehkäufen geben wird. In Summe wird aber auch in dieser Gruppe auf Jahressicht gesehen ein Rückgang (–7%) im Ausgabevolumen erwartet.

  • Bei den Dienstleistungen fällt das Konsumprofil von März bis Juni merklich gedämpfter aus. Es wird zwar angenommen, dass die Ausgaben für Verkehrsdienstleistungen, Tourismus, Gastronomie und Unterhaltung (Sport, Freizeit, Kultur) vor allem im März und April deutlich einbrechen werden. Aber bei den Dienstleistungen sind auch die Ausgaben für Wohnen (Miete, Betriebskosten: jeweils ein Anteil von rund 37%) miteinbezogen, und diese sind vom Shutdown im Großen und Ganzen nicht betroffen. Ebenso sind bei den Dienstleistungen auch Ausgaben für die Gesundheit enthalten (Ärzte, Therapien, Spital). Hier wird angenommen, dass diese temporär steigen werden. Nachzieheffekte sind bei den Dienstleistungen nur in einem geringen Ausmaß eingepreist, da ein Großteil des nicht konsumierten Konsums auch nicht nachgeholt werden kann. Insgesamt liegt das Ausgabenniveau bei 94% des Referenzwertes.

Größenordnung des Konsumnachfrageschocks – Inländerkonsum

Auf Basis des unterstellten Konsumprofils ergibt sich für die Ausgaben im Inland der in Österreich Ansässigen ein Nachfrageschock von insgesamt 4,5 Mrd. €.

Die gesetzten COVID-19-Maßnahmen betreffen nicht nur die Konsumausgaben im Inland, sondern auch jene Ausgaben der in Österreich Ansässigen im Ausland. Aufgrund der Reisebeschränkungen, die weltweit vorherrschen, sowie der Unsicherheiten ist auch mit einem starken Rückgang der Reiseaktivitäten in den kommenden Monaten zu rechnen. Es wird erwartet, dass diese Ausgaben um mehr als 1,5 Mrd. € abnehmen werden, dies entspricht einem Rückgang auf Jahressicht von knapp 16%.

Zum Konsum der privaten Haushalte zählen auch die Ausgaben für karitative Organisationen (wie etwa Rotes Kreuz), Kirchenverbände oder Vereine. Im ersten (Soforthilfe-)Maßnahmenpaket der Regierung (4 Mrd. €) dürften laut unserer Annahme auch Mittel an die Gesundheitseinrichtungen und Organisationen innerhalb der POoE fließen. Es wurde ein Betrag von +500 Mio. € angenommen, der den Konsum stützen wird.

Insgesamt beträgt somit der Nachfrageschock auf Basis des Inländerkonsums 5,5 Mrd. €.

Größenordnung des Konsumnachfrageschocks – Ausländische Gäste

Für die Ermittlung der Wertschöpfungseffekte ist nicht nur der Konsumausfall der heimischen Bevölkerung relevant, sondern auch jener der ausländischen Gäste. Dazu muss eine Abschätzung getroffen werden, wie stark die Nächtigungen im Tourismus von der Corona-Krise betroffen sind. Auf Basis eines unterstellten Nächtigungsszenarios kann dann ähnlich wie beim Konsumprofil der in Österreich Ansässigen ein Faktor an Mehr- bzw. Minderkonsum je COICOP-Konsumposition festgesetzt werden.

Unter den Top-10-Ausgabepositionen bei den ausländischen Touristinnen und Touristen entfällt der Hauptteil auf Beherbergung und Gastronomie, gefolgt von Sport, Freizeit und Kultur, Verkehrsausgaben, Bekleidung und Waren des täglichen Bedarfs. Für das Gesamtjahr wird erwartet, dass die Reiseverkehrsexporte (Konsum der ausländischen Gäste in Österreich) um rund 2,9 Mrd. € geringer ausfallen werden.

Fazit

Eine exakte ökonomische Bewertung der Maßnahmen, die durch die Coronavirus-Pandemie erforderlich wurden, ist zum aktuellen Zeitpunkt nur schwer möglich. Szenarien können hier nur eine gewisse Größenordnung offenlegen. Das unterstellte Konsumprofil beinhaltet Unsicherheiten auf vielen Ebenen: tatsächliche Dauer der Krise, Änderungen im Konsumverhalten der privaten Haushalte, Wirksamkeit der wirtschaftspolitischen Maßnahmen usw. Tatsache ist aber, dass der Konsumnachfrageschock bereits im gegenwärtigen Szenario ein Volumen annimmt, dass für die heimische Wirtschaft als größter Schock der letzten Jahrzehnte bezeichnet werden kann.

Rückfragen an

Dr. Jürgen Bierbaumer, MA

Forschungsgruppe: Makroökonomie und öffentliche Finanzen
© Tim Mossholder/Unsplash
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