Corona-Shutdown: Szenarienrechnung belegt massive Auswirkungen auf den Tourismus

07.04.2020

Erste Abschätzung der Nächtigungsverluste im Jahr 2020 von WIFO-Ökonom Oliver Fritz

Prognosen über die Entwicklung der österreichischen Tourismuswirtschaft im Jahr 2020 können angesichts der aktuellen Unsicherheiten nicht abgegeben werden. WIFO-Ökonom Oliver Fritz hat alternativ dazu Szenarien erstellt, die eine erste Abschätzung der Dimension der zu erwartenden Nächtigungsverluste erlauben.

Die österreichische Tourismuswirtschaft ist aufgrund der massiven Einschränkungen auf der Angebotsseite (behördliche Schließung von Beherbergungsbetrieben zunächst in Tirol, Salzburg und Vorarlberg, dann in ganz Österreich; Schließung von Seilbahnen, Freizeiteinrichtungen, Gastronomie- und Handelsbetrieben usw.) sowie des Einbruchs der inländischen und ausländischen Nachfrage (durch Einschränkungen der Bewegungsfreiheiten, Grenzschließungen, Verbot von Veranstaltungen usw.) mit stark sinkenden Erlösen konfrontiert und zählt zu jenen Wirtschaftsbereichen, die am stärksten unter der aktuellen Corona-Krise leiden.

Das Ausmaß dieser Verluste hängt nicht nur vom Zeitpunkt der Aufhebung der genannten Beschränkungen ab, sondern auch davon, wie schnell sich die Nachfrage wieder erholen wird. Folgende Faktoren spielen in der Erholungsphase eine wichtige Rolle:

  • Sinkende zeitliche Ressourcen der potentiellen Österreich-Gäste: Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind während der Krise vielfach dazu angehalten, Urlaubsansprüche und Zeitguthaben abzubauen; selbständige Erwerbstätige müssen nach der Krise jene Verluste kompensieren, die sie durch die Unterbrechung ihrer Geschäftstätigkeit erleiden. Das Zeitbudget, das nach der Krise für Urlaube zur Verfügung steht, wird dadurch erheblich eingeschränkt.

  • Der wirtschaftliche Schaden durch die Pandemie wird zu einer Verringerung des verfügbaren Einkommens führen, bedingt durch Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit bei unselbständig Beschäftigten sowie massive Erlöseinbußen bei Selbständigen. Dadurch verringert sich der finanzielle Spielraum für Urlaubsreisen.

  • Die Möglichkeit zu reisen ist nur dann gegeben, wenn die Bewegungsfreiheit der Menschen sichergestellt ist, also Grenzschließungen wieder aufgehoben werden.

  • Letztendlich muss auch das persönliche Sicherheitsgefühl wiederhergestellt, also die Angst vor einer möglichen Ansteckung überwunden werden, bevor sich die Nachfrage nach Reisen wieder erholen kann.

Neben Urlaubsreisen sind auch Geschäftsreisen, einschließlich Kongressbesuche, von der Krise betroffen. Während jedoch davon auszugehen ist, dass bei Urlauberinnen und Urlaubern die "Lust am Reisen" zumindest auf lange Sicht prinzipiell ungebrochen bleibt und die sich in der Vergangenheit sehr dynamisch entwickelnde Nachfrage nach Urlaubsreisen damit mittelfristig wieder erholen wird, könnte das Wachstum bei Geschäftsreisen nachhaltig gedämpft werden. Die in Krisenzeiten erworbenen Erfahrungen mit Videokonferenzen und den dazu notwendigen Technologien könnten Unternehmen, aber auch wissenschaftliche Einrichtungen dazu veranlassen, die Notwendigkeit von Reisen und Konferenzteilnahmen stärker in Frage zu stellen und öfter auf (kostengünstigere) virtuelle statt auf (teurere) persönliche Kontakte zu setzen.

Prognosen über die Entwicklung der österreichischen Tourismuswirtschaft im Jahr 2020 können angesichts der Unsicherheiten über die Dauer aller Beschränkungen im Inland und in den wichtigsten Herkunftsländern der Österreich-Gäste sowie über den Einfluss der oben genannten Faktoren auf die Nachfrage nach Urlaubsreisen aktuell nicht abgegeben werden. Das WIFO hat alternativ dazu Szenarien erstellt, die eine Abschätzung der Dimension der zu erwartenden Nächtigungsverluste erlaubt. Diese Szenarien gehen davon aus, dass die Beherbergungsbetriebe erst zu Beginn des Sommers wieder öffnen dürfen, sich die Nachfrage über die Monate Juli und August hinweg erholt und ab September 2020 wieder annähernd die Vorjahresniveaus erreicht werden. Die Erholung wird dabei zunächst vom Inlandstourismus getragen (Szenario 1), was aus mehreren Gründen plausibel erscheint:

  • Aus heutiger Sicht sind zahlreiche, bei österreichischen Gästen beliebte ausländische Destinationen, vor allem jene in Italien und Spanien, stärker von der Krise betroffen als inländische.

  • Die Sorge vor einer möglichen Ansteckung mit dem Coronavirus sowie vor einer unzureichenden medizinischen Versorgung im Ausland wird viele Österreicherinnen und Österreicher ebenso dazu bewegen, Destinationen im Inland zu präferieren.

  • Aufgrund beschränkter zeitlicher Ressourcen ist zu erwarten, dass für verkürzte Urlaubsaufenthalte Destinationen in der Nähe des Wohnortes gewählt werden.

Diese Argumente sprechen jedoch nicht nur für eine frühzeitige Belebung des Inlandstourismus, sondern auch für die Chance, Gäste aus traditionellen und naheliegenden Quellmärkten für Österreich-Urlaube (zurück) zu gewinnen. Aus diesem Grund wurde weiters berechnet (Szenario 2), welche Effekte sich (neben einer wachsenden Inlandsnachfrage) aus einer Wiederbelebung der Nachfrage aus dem deutschen Markt ergeben könnten. Dabei wird angenommen, dass beide Märkte die Verluste aus anderen europäischen Quellmärkten sowie den Fernmärkten (die erst im Oktober bzw. November das Nächtigungsniveau des Vorjahres wieder erreichen und auf diesem verharren) teilweise kompensieren können.

In den drei verschiedenen Ausprägungen von Szenario 1, die alle eine Erholung der inländischen Nachfrage abbilden, wird unterstellt, dass die Zahl der Nächtigungen inländischer Gäste im Juli noch deutlich zurückgeht bzw. (im optimistischen Fall) um 5% ansteigt. Das Wachstum erhöht sich in den Folgemonaten kontinuierlich und erreicht bis November Wachstumsraten zwischen +6% und (im optimistischsten Fall) +20%. Allerdings wird für Dezember ein negativer Imageeffekt für die alpinen Regionen in Salzburg, Tirol und Vorarlberg modelliert: Daher bleibt in diesen Bundesländern trotz überstandener Corona-Krise die Nachfrage aus Deutschland und den Niederlanden um 10% unter dem Vorjahresniveau.

Die drei Versionen von Szenario 2 gleichen jenen von Szenario 1 in Bezug auf die Inlandsnächtigungen, gehen aber zusätzlich von einer Erholung der Nachfrage auf dem deutschen Markt aus; diese fällt jedoch nur halb so stark wie jene der inländischen Nachfrage aus.

Die Ergebnisse dieser Szenarien-Berechnungen, welche die für Jänner und Februar 2020 realisierten Nächtigungen der Bundesländer bereits einschließen, verdeutlichen, dass ein Wachstum der Nachfrage aus dem Inland sowie jener aus Deutschland im 2. Halbjahr 2020 der Tourismuswirtschaft zwar helfen, die krisenbedingten Verluste etwas zu kompensieren, die Einbußen in Bezug auf die Nächtigungen insgesamt über das gesamte Jahr 2020 aber dennoch ein sehr hohes Ausmaß erreichen: Die Rückgänge liegen zwischen 31% (moderate Belebung des Inlandstourismus ab September, Nächtigungsniveaus im Juli 2020 um ein Viertel unter dem des Vorjahres) und rund 24% im optimistischsten Szenario, in dem die Inlandsnachfrage im III. Quartal um 9,5% und im IV. Quartal um 17,5% über dem Vorjahresniveau liegt, jene aus Deutschland um 2% (III. Quartal) bzw. 0,9% (IV. Quartal).

Dazu ist zu erwarten, dass die einnahmenseitigen Verluste der Beherbergungsbetriebe stärker ausfallen werden als die mengenmäßigen Rückgänge auf Basis der Nächtigungen: Unterkünfte werden vor allem im Sommer 2020 die Preise senken, um Gäste anzulocken, dazu fehlt die Nachfrage von Gästen aus den Fernmärkten, die im Durchschnitt höhere Ausgaben als Binnenreisende oder Gäste aus europäischen Märkten tätigen. Auch die hier angenommenen Nächtigungsrückgänge in den westlichen Bundesländern im Dezember 2020 fallen dabei ins Gewicht, da die Ausgaben in der Wintersaison im Durchschnitt über jenen der Sommersaison liegen.

Die Szenarien bestätigen somit, welche massiven Auswirkungen die gegenwärtige Krise auf die Tourismuswirtschaft haben kann, wobei die für die Berechnungen getroffenen Annahmen über die Nachfrageentwicklung ab Juli 2020 keinesfalls den "worst case" abbilden. Große Unsicherheit herrscht vor allem über die weitere Entwicklung der Pandemie aber auch der Wirtschaft in jenen Ländern, die als Quellmärkte von großer Bedeutung für die österreichische Tourismuswirtschaft sind.

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Mag. Dr. Oliver Fritz, MSc

Forschungsgruppe: Regionalökonomie und räumliche Analyse
© Sead Dedić/Unsplash
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