28. Oktober 1997 • Währungsunion fördert das Wachstum in der EU. Mittelfristige Prognose der Industrieländer bis 2001 • Stephan Schulmeister

Seit Anfang der neunziger Jahre haben die USA – erstmals in der Nachkriegsgeschichte – die Führungsrolle in der Wachstumsdynamik der "Triade" übernommen: Zwischen 1991 und 1996 wuchs das BIP der USA um 2,9% pro Jahr und damit fast doppelt so rasch wie jenes von Westeuropa (+1,6%). Am geringsten fiel das Wirtschaftswachstum in jenem Land aus, das langfristig die größte Dynamik entfaltet hatte: In Japan nahm die Gesamtproduktion zwischen 1991 und 1996 um nur 1,2% pro Jahr zu.

Diese Entwicklung wurde in hohem Maß durch die divergierende Wirtschaftspolitik in der "Triade" verursacht. Die USA haben seit Mitte der achtziger Jahre als Reaktion auf die negativen Auswirkungen einer Hochzinspolitik, eines steigenden Dollarkurses sowie wachsender Budget- und Leistungsbilanzdefizite ("Reaganomics") ihren wirtschaftspolitischen Kurs schrittweise geändert: Niedrige Dollarzinsen, ein stark unterbewerteter Dollarkurs, eine primär einnahmenseitige Budgetkonsolidierung durch Erhöhung des Grenzsteuersatzes, Stärkung der Kaufkraft der "Working Poor" durch Ausweitung der "negativen Einkommensteuer", Akzeptanz einer Inflationsrate von etwa 3% ermöglichten in ihrem Zusammenwirken ein so hohes Wirtschaftswachstum (1991/1996 +3% pro Jahr), daß sowohl die Arbeitslosigkeit als auch das Budgetdefizit deutlich sanken.

In der EU haben hingegen die Hochzinspolitik der Deutschen Bundesbank 1990/1992, der dadurch mitverursachte Zusammenbruch des Systems fester Wechselkurse 1992/93, die Aufwertung der DM und ihrer "Satellitenwährungen" sowie eine gleichschrittige Sparpolitik, welche in vielen Ländern die Kaufkraft der sozial Schwächeren besonders stark dämpfte, gemeinsam das mittelfristige Wirtschaftswachstum zwischen 1991 und 1996 auf 1½% pro Jahr gedrückt. Obwohl keine weltwirtschaftlichen Turbulenzen wie etwa Erdölpreisschocks auftraten, stiegen Arbeitslosigkeit und Staatsschuldenquote in Westeuropa seit 1991 stärker als in nahezu jeder anderen Fünfjahresperiode der Nachkriegszeit.

Unter allen EU-Ländern war die an "Reaganomics" erinnernde Kombination von hohen Realzinsen, einem überbewerteten Wechselkurs sowie einem anhaltend hohen Budgetdefizit am stärksten in Deutschland ausgeprägt. Dementsprechend entwickelte sich die deutsche Wirtschaft zwischen 1991 und 1996 besonders ungünstig.

Die vorliegende Prognose nimmt an, daß die dritte Stufe der Währungsunion "planmäßig" am 1. Jänner 1999 beginnt, und zwar mit allen zur Teilnahme bereiten EU-Ländern (außer Griechenland): Diese 11 Länder werden 1997 die Maastricht-Kriterien erreichen, gleichzeitig ist auch der politische Wille stärker geworden, die Währungsunion plangemäß zu verwirklichen. Auch in Deutschland dürften sich schließlich die Befürworter des Projekts durchsetzen: Die Sorge über einen "weichen" Euro wird angesichts der in der gesamten EU auf einen historischen Tiefststand gesunkenen Inflation und der dauernden Überbewertung des ECU langsam abnehmen. Zugleich wird sich die Einsicht durchsetzen, daß ein Scheitern der Währungsunion der deutschen Wirtschaft besonders schaden würde (schließlich war und ist die DM von allen EU-Währungen am stärksten überbewertet).

Die endgültige Überwindung der Wechselkursschwankungen innerhalb der EU wird die Wachstumsbedingungen aus mehreren Gründen verbessern: Die Transaktionskosten im Handel und im Reiseverkehr zwischen Euro-Ländern sinken drastisch, die Kosten von Produktion und (Direkt-)Investition können verläßlicher und für längere Zeithorizonte kalkuliert werden, der Aufwand für Kurssicherungsgeschäfte entfällt, kurzfristig-spekulative Transaktionen auf den Devisenmärkten werden in dem Maß an Attraktivität verlieren, in dem es gelingt, die beiden wichtigsten Wechselkurse in der Weltwirtschaft – zwischen dem Euro einerseits sowie Dollar und Yen andererseits – zu stabilisieren.

Das Wirtschaftswachstum dürfte in Westeuropa, in den USA und in Japan 1996/2001 mit jeweils etwa 2½% pro Jahr annähernd gleich hoch ausfallen, der Konjunkturverlauf wird sich allerdings deutlich unterscheiden: Die kräftige Aufwertung des Dollar seit Anfang 1997 wird dazu beitragen, daß sich das Wirtschaftswachstum in den USA von 3,3% (1997) auf 2,3% (1998) bzw. 1,8% (1999) abschwächt, während es in Europa von 2,3% auf 2,5% bzw. 3,0% steigt. Unter diesen Bedingungen wird das Interesse der Regierung in den USA an einem schwächeren Dollar wieder zunehmen; vier Faktoren erleichtern es den USA, ihre eigene Währung durch ein "talking the dollar down" weicher zu machen: Die USA sind das weitaus größte Schuldnerland der Welt, sie sind als (bisheriges) Leitwährungsland fast nur in eigener Währung verschuldet; Auflösung eines Teils der "überschüssigen" Devisenreserven der Europäischen Zentralbank (überwiegend Dollarforderungen) wird zusätzlichen Druck auf den Dollar ausüben, und schließlich dürfte der Euro als Reservewährung eine viel größere Bedeutung erlangen als bisher die europäischen Einzelwährungen, insbesondere die DM.

Auch in Japan wird der Konjunkturzyklus seinen Höhepunkt im Jahr 1999 erreichen; wegen der Schwierigkeiten des Übergangs zu einem gesamtwirtschaftlichen Gleichgewicht mit niedrigerer Investitions- und Exportquote und höherer Konsumquote als im japanischen "Erfolgsmodell" der Nachkriegszeit dürfte das Produktionsswachstum selbst in der Hochkonjunktur nur 3% betragen.

Nähere Informationen entnehmen Sie bitte dem WIFO-Monatsbericht 10/1997!