26. Juli 2001 • Wachstumsabschwächung in den Industrieländern, Belebung in den anderen Regionen. Mittelfristige Prognose der Weltwirtschaft bis 2005 • Stephan Schulmeister

Die markanten Zinserhöhungen in den USA und der Euro-Zone 1999/2000, der enorme Anstieg des Erdölpreises seit Ende 1999 und der ausgeprägte Rückgang der Aktienkurse seit dem Frühjahr 2000 sind die wichtigsten Ursachen für die gegenwärtige Konjunkturabschwächung in den Industrieländern. Das mittelfristige Wachstumstempo wird dort wesentlich davon bestimmt, wie rasch die aktuelle Wirtschaftsflaute überwunden wird.

Die USA verfolgen eine ausgeprägt antizyklische Wirtschaftspolitik. Die Notenbank hat die Leitzinsen seit Anfang 2001 von 6,5% auf 3,75% gesenkt. Dadurch gelang es, den Verfall der Aktienkurse zu stoppen und eine weitere Verschlechterung der Wirtschaftserwartungen zu verhindern. Überdies wurde so die Nachfrage in zinsreagiblen Bereichen wie der Bauwirtschaft gestützt. Die Prognose nimmt an, dass die Fed die Leitzinsen angesichts der labilen Konjunkturlage in den USA heuer nochmals senken und längere Zeit auf niedrigem Niveau halten wird. Der kurzfristige Dollarzins wird unter diesen Annahmen 2001 und 2002 bei 4,2% bzw. 3,8% liegen und bis 2004 lediglich auf 4,5% steigen.

Auch die Fiskalpolitik wird in den USA antizyklisch gestaltet. Die Senkung der Einkommensteuern wird durch Steuergutschriften in das Jahr 2001 vorgezogen und stimuliert so die Nachfrage in einer Zeit schwacher Konjunktur.

Der Wechselkurs des Dollars dürfte wegen der Konjunkturabschwächung in den USA und ihres enormen Leistungsbilanzdefizits wieder leicht sinken. Die Prognose nimmt an, dass der Euro-Kurs bis 2003 auf 1,0 $ steigt und dann auf diesem Niveau bleibt.

Unter diesen Annahmen ist ein Abgleiten der Wirtschaft der USA in eine Rezession wenig wahrscheinlich. Vielmehr dürfte das Wachstum heuer mit +1,5% einen Tiefstand erreichen und sich in der Folge auf +3,5% beschleunigen. Bis 2005 dürfte es durchschnittlich 2,7% pro Jahr betragen.

In Europa wird keine antizyklische Wirtschaftspolitik verfolgt. Die EZB signalisiert, dass sie die Zinsen weiterhin nicht nennenswert senken werde, die Finanzminister der wichtigsten EU-Länder wollen auch konjunkturbedingte Budgetverschlechterungen nicht akzeptieren. Dieser im Vergleich mit den USA auffällige "Attentismus" dürfte wesentlich dazu beitragen, dass sich die Stimmung von Unternehmern und Haushalten immer mehr verschlechtert. Investitions- und Konsumnachfrage entwickeln sich deshalb in der EU wesentlich ungünstiger als vor wenigen Monaten erwartet.

Angesichts der gedämpften Binnennachfrage und eines schwachen Exportwachstums dürfte das BIP in der EU heuer um nur 1,7% steigen. Da weder die Geld- noch die Fiskalpolitik wirkungsvolle Maßnahmen zur Konjunkturbelebung ergreifen werden, wird sich die Wirtschaft in der EU langsamer erholen als in den USA. Die Prognose nimmt an, dass sich das Wachstumstempo von +2,1% (2002) auf +2,5% (2003) und +3,0% in den Jahren 2004 und 2005 erhöht. Über den gesamten Prognosezeitraum wird das BIP in der EU um durchschnittlich 2,5% pro Jahr zunehmen und damit etwas langsamer als in den USA (+2,7%). Der Euro-Zins dürfte im Durchschnitt der Jahre 2001 bis 2005 4,6% betragen; er ist damit etwas höher als der Dollarzins (4,2%).

Die deflationistischen Tendenzen machen es der Geldpolitik in Japan unmöglich, die Nachfrage von Unternehmen und Haushalten zu stimulieren; Ähnliches gilt für die Fiskalpolitik angesichts der enormen Ausweitung der Staatsverschuldung. Dies sind gemeinsam mit Strukturproblemen im Finanzsektor die wichtigsten Gründe, warum sich die japanische Wirtschaft nur langsam erholen und bis 2005 um lediglich 1,3% pro Jahr wachsen wird.

In der Gesamtheit der Industrieländer wird das Wirtschaftswachstum zwischen 2000 und 2005 durchschnittlich 2,3% betragen und damit schwächer ausfallen als zwischen 1995 und 2000 (+2,9% p. a.).

Da die Förderdisziplin der OPEC und ihre Kooperation mit den anderen erdölproduzierenden Ländern effizienter geworden sind, wird der Erdölpreis bis 2002 nur geringfügig sinken und danach wieder auf 26 $ anziehen.

Der sinkende Wechselkurs des Dollars und die Belebung der Weltkonjunktur ab 2002 werden auch die Dollarpreise der anderen Rohstoffe sowie der Industriewaren steigen lassen; insgesamt dürften die Welthandelspreise bis 2005 um 2,9% pro Jahr zunehmen.

Bei einem durchschnittlichen Dollarzins von 4,2% wird der Realzins für internationale Dollarschulden zwischen 2000 und 2005 nur 1,3% betragen. Dies wird den Zinsendienst der Schuldnerländer wesentlich erleichtern, internationale Finanzkrisen scheinen deshalb wenig wahrscheinlich.

Aufgrund der höheren Energiepreise werden die Erdölexporteure sowie die früheren Planwirtschaften ihre Importnachfrage besonders stark steigern (+11,9% bzw. +10,2% pro Jahr), die anderen Entwicklungsländer dürften ihre Importe um 9,3% erhöhen. Die Industrieländer werden ihre Einfuhr hingegen um nur 5,7% ausweiten – in erster Linie wegen der Verschlechterung ihrer Terms-of-Trade als Folge der Erdölverteuerung.

Die Industrieländer dürften bis 2005 um 6,2% pro Jahr mehr exportieren, die Erdölexporteure um 4,0%, die sonstigen Entwicklungsländer um 9,1% und die früheren Planwirtschaften um 7,2%. Das gesamte Welthandelsvolumen wird demnach zwischen 2000 und 2005 um 6,9% pro Jahr expandieren.

Übersicht 1: Die wichtigsten Prognoseergebnisse im Überblick

 

2001

2002

2003

2004

2005

2001/2005

 

Durchschnittliche jährliche Veränderung in %

             

Wechskurs Dollar je Euro absolut

0,92

0,96

1,00

1,00

1,00

0,98

Dollarzins absolut

4,2

3,8

4,2

4,5

4,5

4,2

Euro-Zins absolut

4,5

4,0

4,5

5,0

5,0

4,6

Erdölpreis $ je Barrel

26,0

25,0

25,0

25,5

26,0

25,5

Welthandelspreise insgesamt

+ 0,6

+ 2,9

+ 4,7

+ 3,9

+ 2,6

+ 2,9

Realzins für internationale Schulden1) in %

3,6

0,9

- 0,5

0,6

1,9

1,3

Welthandel, real

+ 5,3

+ 6,2

+ 7,2

+ 8,1

+ 7,5

+ 6,9

Welt-BIP, real

+ 3,1

+ 3,6

+ 4,1

+ 4,6

+ 4,3

+ 3,9

  Erdölexporteure

+ 4,0

+ 3,5

+ 4,0

+ 4,5

+ 4,0

+ 4,0

  Sonstige Entwicklungsländer

+ 5,0

+ 5,5

+ 6,0

+ 6,5

+ 6,0

+ 5,8

  Oststaaten

+ 3,3

+ 4,2

+ 4,3

+ 4,3

+ 4,6

+ 4,2

    Ost-Mitteleuropa

+ 2,8

+ 4,0

+ 4,5

+ 5,0

+ 5,5

+ 4,4

    Russland

+ 4,0

+ 4,5

+ 4,0

+ 3,5

+ 3,5

+ 3,9

  Industrieländer

+ 1,3

+ 2,0

+ 2,5

+ 3,0

+ 2,8

+ 2,3

    USA

+ 1,5

+ 2,5

+ 3,0

+ 3,5

+ 3,0

+ 2,7

    Japan

+ 0,0

+ 1,0

+ 1,5

+ 2,0

+ 2,0

+ 1,3

    EU

+ 1,7

+ 2,1

+ 2,5

+ 3,0

+ 3,0

+ 2,5

Q: WIFO-Datenbank. –  1)  Euro-Dollarzins, deflationiert mit den Welthandelspreisen insgesamt.

Nähere Informationen entnehmen Sie bitte dem WIFO-Monatsbericht 7/2001!