Das WIFO erweitert seine Konjunkturprognose um zwei Indikatoren zur Einkommensentwicklung: das S80/S20-Einkommensquintilverhältnis
und die Armutsgefährdungsquote. Beide sind wichtige Kennzahlen im Rahmen der Agenda 2030 der Vereinten Nationen sowie der
"Beyond GDP"-Initiative der Europäischen Kommission, die einen breiteren Ansatz zur Messung von Wohlstand und Wohlergehen
darstellen. Die beiden Indikatoren werden auf der Grundlage der EU-SILC-Daten mit Hilfe von EUROMOD berechnet. Wichtige Inputfaktoren
sind dabei die Bevölkerungsprognose und die Haushaltsprognose von Statistik Austria sowie die Entwicklung von Beschäftigung,
Arbeitslosigkeit, Lohneinkommen und Inflation basierend auf der jeweiligen WIFO-Konjunkturprognose. Da EU-SILC erst mit Verzögerung
zur Verfügung steht, werden die beiden Indikatoren auch für vergangene Jahre geschätzt (Nowcast). Die Prognose für die Jahre
2024 und 2025 (Forecast) zeigt, dass die Indikatoren relativ stabil sind und innerhalb der üblichen Schwankungsbreiten liegen.
Laut WIFO-Umverteilungsstudie ist in Österreich der durchschnittliche Saldo aus empfangenen wohlfahrtsstaatlichen Leistungen
und geleisteten Abgaben nur in den oberen beiden Zehnteln der Primäreinkommensverteilung negativ. Insgesamt waren 2019 37%
der Bevölkerung Nettozahlende, davon entfielen 2% auf das zweite und 22% auf das oberste Einkommenszehntel. Die Konzentration
der Nettozahlenden im oberen Zehntel wird durch die hohe Konzentration der Markteinkommen verursacht. Bei der Interpretation
der Ergebnisse ist zu beachten, dass der Saldo nicht alle öffentlichen Leistungen und Abgaben abbilden kann und ihm ein komplexes
Zusammenspiel aus horizontaler, intertemporaler und vertikaler Umverteilung zugrunde liegt. In den untersuchten Jahren 2005,
2010, 2015 und 2019 blieben der Anteil der Nettozahlenden und das Verhältnis des Saldos zum Markteinkommen weitgehend stabil.
Mit einem Anteil von 0,7% an den Sozialausgaben reduzierte die Sozialhilfe die Armutsgefährdung der österreichischen Gesamtbevölkerung
im Jahr 2020 von 15,2% auf 14,7%. Obwohl nur rund 3% der Bevölkerung Sozialhilfe beziehen, erfüllt dieses letzte soziale Netz
eine wichtige Funktion in der Armutsbekämpfung: Für Beziehende senkte sie die Armutsgefährdungsquote von 62,4% auf 50,4% und
die Armutsgefährdungslücke von 52,0% auf 26,4% (2020). Besonders zentral ist die Sozialhilfe für Kinder, die unter den Beziehenden
überrepräsentiert sind, sowie für Gruppen mit traditionell hohem Armutsrisiko, deren Struktur sich im Beobachtungszeitraum
(2008/2021) nicht verändert hat. Dazu zählen Arbeitslose, Alleinerziehende, Drittstaatsangehörige, Personen mit geringem formalem
Ausbildungsniveau und Personen mit schlechtem Gesundheitszustand.
Die Studie zeigt die Wirkung des letzten sozialen Sicherungsnetzes in Österreich bis einschließlich 2021. Rund 3% der Bevölkerung
bezogen eine Unterstützungsleistung im Rahmen der Sozialhilfe bzw. Bedarfsorientierten Mindestsicherung (SH bzw. BMS). Mit
einem Anteil von rund 0,7% an den gesamten Sozialausgaben reduzierte die SH bzw. BMS die Armutsgefährdung von 15,2% auf 14,7%
im Jahr 2020. Knapp 22% der Bezieher:innen waren jünger als 15 Jahre (bei einem Bevölkerungsanteil von 14%). Neben Kindern
zählen auch Arbeitslose, Alleinerziehende und Personen mit schlechtem Gesundheitszustand zur Risikogruppe. Im Krisenjahr 2020
wirkten die Einmalmaßnahmen armutsvermeidend: Rund 89.000 Personen gelangten dadurch aus der Armut. Eine Befragung der Betroffenen
zeigte, dass sich die finanzielle Situation der Armutsbetroffenen im Jahr 2022 verschlechtert hat. Die lange Wartezeit zwischen
Antragstellung und erster Auszahlung wird von den Betroffenen als Problem erlebt. Optionen zur Weiterentwicklung des letzten
sozialen Netzes liegen einerseits im leichteren Zugang zu adäquaten Unterstützungsleistungen, und andererseits in einer verbesserten
Absicherung im Sozialversicherungssystem durch höhere und kontinuierliche Erwerbseinkommen bzw. Erwerbseinkommensmöglichkeiten.
Die Studie analysiert die Auswirkungen des Wohlfahrtsstaates auf Einkommensungleichheit und die relative Armut in Österreich.
Ausgehend von den Markteinkommen werden die Verteilungseffekte von staatlichen Geld- und Sachleistungen in den Bereichen Gesundheit,
Bildung, Familie, Wohnen, Arbeitslosigkeit und soziale Ausgrenzung sowie von Sozialbeiträgen und (in)direkten Steuern untersucht.
Die jüngsten verknüpfbaren Daten für eine solche Analyse beziehen sich auf das Jahr 2019. Durch die Umverteilung sinkt der
Gini-Koeffizient im Jahr 2019 von 0,466 (Markteinkommen) auf 0,213 (Sekundäreinkommen), die Armutsgefährdungsquote sinkt zwischen
Markteinkommen und verfügbarem Einkommen um den Faktor 2,5. Ein ähnlicher Effekt zeigt sich für die Jahre 2005, 2010 und 2015.
Den größten Umverteilungsbeitrag leisten die gesetzlichen Bruttopensionen, gefolgt von den öffentlichen Gesundheitsleistungen.
Im Zeitverlauf hat der relative Umverteilungsbeitrag der direkten Abgaben deutlich zugenommen. Hinter den stabilen Verteilungsmaßen
im Querschnitt der Bevölkerung in privaten Haushalten verbergen sich divergierende Einkommensentwicklungen zwischen Haushalten
nach Altersgruppen. Das Armutsrisiko ist in Haushalten mit Kindern und Hauptverdienenden unter 46 Jahren überdurchschnittlich
hoch und hat zwischen 2005 und 2019 zugenommen.
Um das Arbeitsangebot von Personen mit Pensionsbezug zu erhöhen, wird derzeit die Senkung der Pensionsversicherungsbeiträge
für Ältere diskutiert. Wie die Simulation eines Entfalls der arbeitnehmerseitigen Pensionsversicherungsbeiträge zeigt, ist
der Nettoeinkommenseffekt insbesondere bei geringem Einkommen schwächer als der Rückgang der Beitragszahlungen, da die Lohnsteuerschuld
ansteigt. Für ein monatliches Erwerbseinkommen von 1.500 € brutto in Verbindung mit einer Pension erreicht die Partizipationsbelastung
ab einer Pensionshöhe von 2.815 € ihr Maximum von 43,4%. Durch die Streichung der Pensionsversicherungsbeiträge würde die
Partizipationsbelastung bei einer Pension von 1.500 € bzw. 2.500 € um jeweils fast 20% gesenkt. Dies würde sich positiv auf
die Arbeitsanreize für Pensionist:innen auswirken.
Im Dezember 2021 und Jänner 2022 beschloss die Regierung Maßnahmen, die eine Abfederung der steigenden Verbraucherpreise für
Haushalte und Unternehmen zum Ziel haben. Das Entlastungsvolumen beträgt rund 4 Mrd. €. Die Maßnahmen sind stark energie-
und verkehrsbezogen und gleichen die verschlechterten Lebenslagen der Haushalte mit geringem Einkommen zu einem geringen Ausmaß
aus. Eine mittelfristige Betrachtung zeigt allerdings, dass die steigenden Preise besonders im Bereich Wohnen mit den Maßnahmen
nicht erreicht werden. Um die Lebenslagen besonders einkommensschwacher Haushalte zu verändern, braucht es weitere zielgerichtete
Maßnahmen.
Vor dem Hintergrund der stark steigenden Preise (Inflation März 2022: 6,8%, prognostizierte Jahresinflation 2022: 5,8%) stellt
der Beitrag die Frage nach den Auswirkungen steigender Lebenshaltungskosten auf Armutsgefährdung der Bevölkerung in Österreich.
Es wird gezeigt, dass es keine unmittelbaren Veränderungen in der Armutsgefährdungsquote gibt, da dieser Indikator die Einkommenslage
der Haushalte zum Bezugspunkt hat. Die Auswirkungen sind vielmehr indirekte: Durch die unterschiedlichen Konsumniveaus als
auch die Konsumausgabenstrukturen der Haushalte in Abhängigkeit ihrer Einkommen sind Haushalte mit geringeren Einkommen, und
damit armutsgefährdete oder arme Haushalte, stärker von den Preissteigerungen betroffen. Bei einer mittelfristigen Betrachtung
zeigen vor allem die steigenden Preise im Bereich Wohnen einen Druck auf den Lebensstandard von einkommensschwachen Haushalten.
Familien mit Kindern erfahren in Österreich durch Geldleistungen sowie Steuererleichterungen staatliche Unterstützung. Die
in der Studie berechneten Leistungshöhen betragen durchschnittlich 210 € in Form direkter Geldleistungen sowie 118 € in Form
von Steuererleichterung pro Kind und Monat. In der Arbeit werden auch die unterschiedlichen Leistungshöhen für Haushalte in
Abhängigkeit von Anzahl und Alter der Kinder, der Haushaltszusammensetzung sowie der Einkommenshöhen der Eltern berechnet.
Die Wirkungsweise unterschiedlicher Familienleistungen wird anhand von Simulationen für hypothetische Familien untersucht.
Die Leistungshöhen werden schließlich anhand empirischer Daten ermittelt.