Die öffentlichen Gesamtkosten für Pflege- und Betreuungsdienste, die Länder und Gemeinden zu tragen haben, werden österreichweit
bis zum Jahr 2050 um 360 Prozent steigen. Lagen sie im Jahr 2015 bei knapp zwei Milliarden Euro, werden es im Jahr 2050 rund
neun Milliarden Euro sein. Die langfristige durchschnittliche Wachstumsrate der Ausgaben liegt bei 4,5 Prozent pro Jahr. In
den kommenden Jahren verläuft die Entwicklung dabei noch moderat. Ab dem Jahr 2025 gewinnt die Kostensteigerung aber umso
stärker an Dynamik: Zwischen 2025 und 2050 verdreifachen sich die Kosten in nur 25 Jahren.
Einer der Hauptgründe für die Entwicklungen liegt in der alternden Bevölkerung: Bis 2050 wird der Anteil der Menschen ab 80
Jahren auf 11,5 Prozent (2015: 5 Prozent) steigen. Ab dem Jahr 2025 erreicht nicht zuletzt die sogenannte Generation der Baby-Boomer
diese Altersgruppe. Dass die Menschen mit steigender Lebenserwartung immer mehr Jahre in Gesundheit verbringen und sich der
Pflegebedarf zeitlich nach hinten verschiebt, ist einberechnet, dämpft die Kosten aber nur leicht.
Starkes West-Ost-Gefälle
Die Entwicklung verläuft dabei regional unterschiedlich: Sie zeigt ein deutliches West-Ost-Gefälle. Am stärksten steigen die
Kosten in Vorarlberg bis zum Jahr 2050 wachsen sie um 427 Prozent -, es folgen Tirol (plus 424 Prozent) und Oberösterreich
(plus 407 Prozent). Vergleichsweise gering ist der zu erwartende Anstieg der Kosten in Wien mit 315 Prozent. Die Gründe dafür:
In den westlichen Bundesländern nimmt der Anteil der älteren, pflegebedürftigen Menschen stärker zu. Zudem waren die Versorgungsgrade
im Ausgangsjahr der Kostenprojektionen (2015) im Westen höher als in Ostösterreich. In Wien wird die Entwicklung durch die
vergleichsweise junge Bevölkerung abgemildert.
Neben den Ausgaben für öffentliche Pflege- und Betreuungsdienste steigen auch jene für das Pflegegeld: Die Zahl jener, die
Pflegegeld beziehen, wächst von derzeit rund 450.000 Personen auf bis zu 750.000 im Jahr 2050. Die jährlichen Kosten des Pflegegelds
steigen damit von 2,5 Milliarden Euro auf 4,2 Milliarden Euro. Das ist ein Plus von 67 Prozent gegenüber 2015.
Pflege lastet schon jetzt 115.000 Jobs aus
Zugleich wird die informelle Pflege sprich: die Pflege im Familienkreis in den kommenden Jahren weiter an Bedeutung
verlieren. Derzeit tragen vor allem die Frauen diese Last. Durch die steigende Erwerbsquote der Frauen wird das Potential
informeller Pflege abnehmen. Auch leben immer mehr Menschen alleine und haben somit niemanden im Haushalt, der sie pflegen
könnte. Der Wegfall dieser familiären Netzwerke hat weitere Auswirkungen: Da die formelle (also professionelle) mobile Pflege
zu Hause vor allem bei höherem Betreuungsbedarf häufig nur im Wechselspiel bzw. gemeinsam mit informeller Pflege durch die
Familie möglich ist, dürfte die stationäre Pflege in den kommenden Jahren weiter an Bedeutung gewinnen.
Nicht zu vernachlässigen sind jedoch die volkswirtschaftlichen Effekte professioneller Pflege- und Betreuungsdienste: Die
öffentlichen und privaten Gesamtausgaben für Pflegedienste von 3,4 Milliarden Euro waren im Jahr 2015 aufgrund von wirtschaftlichen
Verflechtungen mit einer Bruttowertschöpfung von 5,9 Milliarden Euro verbunden und lasteten dabei etwa 115.000 Jobs aus. Sie
generierten dabei ein Steueraufkommen von 1,1 Milliarden Euro. Zudem wurden 1,3 Milliarden Euro an Sozialversicherungsbeiträgen
geleistet. Nur die öffentlichen Ausgaben von Ländern und Gemeinden (1,9 Milliarden Euro) also ohne private Ausgaben
generieren 3,3 Milliarden Euro an Wertschöpfung sowie 66.000 Beschäftigungsverhältnisse, 625 Millionen Euro an Steuereinnahmen
und 739 Millionen Euro an Sozialversicherungsbeiträgen.
Öffentliche Ausgaben für Pflege- und Betreuungsdienste generieren somit ein Steueraufkommen in Höhe von etwa 30 Prozent der
Ausgaben und Sozialversicherungsabgaben von etwa 40 Prozent der Ausgaben. Die volkswirtschaftlichen Multiplikatoren des Pflegesektors
sind aufgrund des hohen Anteils von Löhnen und Gehältern an den direkten Ausgaben und der damit verbundenen direkten Wertschöpfung
vergleichsweise hoch.
Um den bevorstehenden Nachfrageanstieg an teuren vollstationären Diensten zu reduzieren bzw. zu verzögern, erscheint es somit
notwendig, nicht nur mobile, sondern vor allem auch alternative Pflege- und Betreuungsformen (betreutes und betreubares Wohnen,
SeniorInnen-WGs, teilstationäre Dienste und Kapazitäten zur stationären Kurzzeitpflege) auszubauen. Auch der weitere Ausbau
der 24-Stunden-Betreuung zu Hause kann bei Sicherstellung entsprechender Arbeitsbedingungen und Pflegequalität
die Nachfrage nach stationärer Pflege dämpfen. Gleichzeitig muss die Attraktivität von Pflegeberufen deutlich erhöht werden,
um dem drohenden Personalmangel entgegenzuwirken.
Finanzierung sollte überdacht werden
Der erwartete Kostenanstieg in der Pflege wird durch die budgetären Beschränkungen der öffentlichen Hand die finanzielle Belastung
der pflegebedürftigen Personen weiter erhöhen. Aus Gründen der fiskalischen Äquivalenz gilt es jedoch das derzeitige System
der Finanzierung zu überdenken, damit Pflegebedürftigkeit kein individuelles finanzielles Risiko für die betroffenen Personen
und ihre Angehörigen darstellt, sondern ein allgemeines soziales Risiko. Im Sinne des Leistungsfähigkeitsprinzips bei Personen
im Pensionsalter erscheinen vermögensbezogene Steuern (etwa auf Erbschaft oder Schenkung) besonders geeignet, um den künftig
erhöhten Bedarf an öffentlichen Geldern für den Pflegesektor gegenzufinanzieren.