Wirtschaftsforschung zwischen Empirie, Theorie und Politik. Neupositionierung des WIFO nach dem Zweiten Weltkrieg (Economic Research Between Empirics, Theory and Politics. WIFO's Repositioning after World War II)
Die empirische Wirtschaftsforschung zieht ihre Existenzberechtigung aus der Brückenfunktion zwischen ökonomischer Theorie,
empirischer Evidenz und Wirtschaftspolitik. Um die Grundlagen für eine evidenzbasierte Wirtschaftspolitik bereitstellen zu
können, sind zuverlässige Daten, intelligente kontextgeleitete Interpretation sowie Rezeptionsbereitschaft der wirtschaftspolitischen
Entscheidungsträger wichtige Voraussetzungen. Im Zeitablauf hat sich die Bedeutung, die diesen drei Eckpunkten der Wirtschaftsforschung
im WIFO beigemessen wurde, substantiell geändert. Mit der Gewichtsverlagerung, die bis zu einem gewissen Grad den Wandel der
Wirtschaftsordnung und die Entwicklung der ökonomischen Theorie widerspiegelt, hat sich auch das WIFO von einem "Kronzeugen"
der österreichischen Wirtschaftsentwicklung zu einem "Kompass" der Wirtschaftspolitik weiterentwickelt.
Keywords:Wirtschaftsforschung Franz Nemschak Sozialpartnerschaft Politikberatung
Forschungsbereich:Makroökonomie und öffentliche Finanzen
Sprache:Deutsch
Economic Research Between Empirics, Theory and Politics. WIFO's Repositioning after World War II
Empirical economic research obtains its raison d'être from its function of bridging economic theory, empirical evidence and
economic policy. In order to provide the underpinnings of an evidence-based economic policy it is necessary to have reliable
data, an intelligent context-controlled approach to interpretation and a receptive inclination on the part of economic policy
decision-makers as key prerequisites. Over time, the importance accorded to these three benchmarks in WIFO's economic research
has undergone substantial change. With this shift, which to some extent reflects the transformation of the economic system
and developments in economic theories, WIFO has progressed from chief witness of Austria's economic development to its compass
for economic policy.
Schon in seinen ersten Jahren publizierte das WIFO für die theoretische und empirische Wirtschaftsforschung maßgebende Arbeiten
einiger der renommiertesten Ökonomen der damaligen Zeit. Mit den WIFO-Monatsberichten führte Friedrich A. von Hayek als erster
Leiter des Institutes bereits 1927 eine Form der Konjunkturberichterstattung ein, auf deren Tradition und Kontinuität das
heutige Österreichische Institut für Wirtschaftsforschung weiter aufbaut. Analysen wirtschaftspolitisch relevanter Themen
auf Grundlage der neuesten Methoden und der bestverfügbaren Daten sind damals wie heute Inhalt der WIFO-Publikationen. Entsprechend
dem in den Statuten verankerten Auftrag macht das WIFO seine Forschungsergebnisse über ein breites Spektrum an Publikationen
einer ökonomisch interessierten Öffentlichkeit zugänglich.
Seit der Gründung vor 85 Jahren ist es eine Kernaufgabe des WIFO, Brücken zwischen Theorie, Empirie und Politik zu bauen.
Aus theoretischen Modellen werden auf Grundlage bestmöglich aufbereiteter empirischer Daten Empfehlungen für eine evidenzbasierte
Wirtschaftspolitik abgeleitet. Diese Aufgabe kann nur durch exzellente Forschung und Organisation sowie Vielfalt der Methoden
und der Erkenntniswege erfüllt werden. Das WIFO übernimmt als Qualitätsführer in der österreichischen Wirtschaftsforschung
zunehmend kompetitiv vergebene Studien und Aufträge in der europäischen Forschungs- und Beratungslandschaft. Die künftigen
Herausforderungen für das Institut bestehen darin, in einem sehr anspruchsvollen Umfeld die Konjunktur sowie die mittelfristige
Entwicklung und Wettbewerbsstärke Österreichs und Europas zu analysieren und daraus Reformideen für ein sozioökonomisches
Modell zu entwerfen, das neue Prioritäten wie Offenheit, Dynamik, soziale Absicherung und Inklusion sowie ökologische Nachhaltigkeit
und Transformation vereint.
Die Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise hat die Wirtschaftswissenschaft bis in die Fundamente erschüttert. Immer mehr sucht
die Ökonomie nach einem neuen Grundverständnis des Wirtschaftssystems und nach passenderen Modellen für die Analyse künftiger
Entwicklungen, vor allem auch für die Früherkennung von Gefahren. Die Wirtschaftspolitik sucht Auswege aus der Krise in strengeren
Regeln für die Staatsverschuldung und in der verstärkten Stimulierung des Wachstums. Für die Wirtschaftsforschung treten Gesichtspunkte
wie Nachhaltigkeit, interdisziplinäre Zusammenarbeit der Sozialwissenschaften, Sicherung des Sozialstaates und Verbesserung
des Gesundheits-, Altersvorsorge- und Bildungssystems stärker in den Vordergrund.
Das internationale Ansehen des WIFO wurde bereits in den frühen Jahren durch Persönlichkeiten wie Ludwig von Mises, Friedrich
A. von Hayek und Oskar Morgenstern begründet. Neben dem Jubiläum des 85-jährigen Bestandes begeht das WIFO heuer auch den
100. Geburtstag eines seiner verdienstvollsten WIFO-Mitarbeiter mit großer internationaler Reputation, der dieses Ansehen
entscheidend geprägt hat: Josef Steindl. Neben seiner Tätigkeit als empirischer Wirtschaftsforscher lieferte er vielbeachtete
Beiträge zur Wirtschaftstheorie.
Die Entwicklung des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung ist durch einen kontinuierlichen Wandel der Anforderungen
gekennzeichnet. Nach 1980 musste das wirtschaftspolitische System an die Situation einer offeneren Volkswirtschaft und liberalisierter
internationaler Kapitalmärkte angepasst werden. Die komplexeren Fragestellungen erforderten bessere Statistiken, umfangreiche
Datenbanken, Rechenanlagen, neue Analyse- und Prognosemethoden, zunehmend komplexe Modelle. Die großen Themen: Altern, Globalisierung
oder Wettbewerb bei differierenden Kostenstrukturen gewannen an Bedeutung. Das WIFO bemüht sich in allen diesen Projekten
um innovative Lösungen und ist dabei der internationalen Diskussion vielfach voraus. Der Personalstand wurde erheblich ausgeweitet
und die Internationalisierung vorangetrieben; der Anteil internationaler Aufträge ist auf über ein Viertel gestiegen.
Das Österreichische Institut für Konjunkturforschung wurde 1927 vom späteren Nobelpreisträger Friedrich A. von Hayek zusammen
mit Ludwig von Mises gegründet. Seine Arbeit beruhte bereits damals auf den Prinzipien der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit,
welche durch einen von den Sozialpartnern getragenen Verein sichergestellt wurden. Die Mitarbeiter sowie die in seinem Umkreis
tätigen Forscher zählten in ihrer Zeit zur Elite der internationalen Nationalökonomie. Nach dem Anschluss Österreichs an Deutschland
1938 wurde das Haus zum Wiener Institut für Wirtschafts- und Konjunkturforschung umbenannt und mit der Aufgabe betraut, die
Volkswirtschaften Südosteuropas zu untersuchen. Analysemethoden wie auch die Organisation des Instituts für Konjunkturforschung
vor 1938 hatten sich derart bewährt, dass sie auch nach 1945 für das nun "Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung"
genannte Haus eine wichtige Leitlinie blieben.